Dieter Nuhr

Dieter Nuhr

„Große Unternehmer haben die Welt weit mehr verändert als jeder Beleidigte.“

Zur Person

19.01.2014, Göttingen. In der Lokhalle herrscht heute freie Platzwahl. Die ersten Zuschauer stehen bereits drei Stunden vor Beginn der Show in der Kälte und pusten sich die Hände warm. Dieter Nuhr kennt keine Hektik. In aller Ruhe führt er das Gespräch bis knapp eine Stunde vor Stagetime, schenkt Kaffee ein und schält geduldig eine Litschi nach der anderen, damit nachher vor den 3.000 Menschen der Vitamin- und Zuckerspiegel stimmt. Seine Ausstrahlung und Sprechweise im Garderobensessel gleicht jener auf der Bühne: Überlegt, pointiert und präzise – und dabei geradezu buddhistisch gelassen.

Herr Nuhr, im Internet gibt es ein Angebot namens music-map, das dabei hilft, Künstler zu verorten. Sie geben Genesis ein und in einer Textanimation fliegen Artverwandte wie Pink Floyd, Yes oder King Crimson vorbei. Nehmen wir an, es gäbe so ein Programm für Persönlichkeiten und bei Eingabe von „Dieter Nuhr“ erschienen als Geistesverwandte Immanuel Kant, Farin Urlaub und Charles Darwin. Wäre das eine treffende Auswahl?

Dieter Nuhr: Eine sehr noble Mischung. Sozusagen die Extremfälle für meine eigenen Interessenlagen. Ich denke gern nach. Ich fahre gern weg. Wobei, für Kant käme ich dennoch nicht in Frage, der hat seine Heimat nie verlassen. Und der Radikalreisende Farin Urlaub ist sicher mehr unterwegs als ich, auch wenn ich in meinem Leben durchaus schon mal meinen Wohnort verlassen habe. (lacht) Charles Darwin betrachte ich als das größte Kompliment, weil er jemand war, der die Dinge wirklich so gesehen hat, wie er sie gesehen hat und den Zeitgeist völlig hinter sich ließ.

Ihre Fotografie belegt, dass auch Sie viel herumgekommen sind. Da finden sich Motive aus Slowenien, dem Iran, Indien, Mali oder dem Libanon und vielen anderen. Keine Schnappschüsse, sondern ernste, überlegte Kunst. Ist Ihr Wissen darum, wie es auf der Welt aussieht, die Grundlage für die Prämisse: Leute, hört auf, euch unnötig zu empören. Ihr wisst nicht zu schätzen, wie gut es euch geht?

Das ist, glaube ich, der Grund für diese Haltung, ja. Sie hat sich erst mit der Zeit ergeben. Ich habe mich Schritt für Schritt von meinen Kollegen wegentwickelt. Ich konnte die Jammerei nicht mehr ertragen und musste feststellen, dass alles, was zu meiner Generation gehört – der antiamerikanische Reflex etwa oder die Tendenz, die Ursachen alles Bösen in der Wirtschaft zu suchen – mit meiner Realität nicht übereinstimmte. Ich fing plötzlich an, Geld zu verdienen und fragte mich: Was macht man damit? Wie funktioniert Geldwirtschaft? Lässt man sich darauf ein, merkt man schnell, dass das ganz primitive Tauschgeschäfte sind. Man gibt etwas und man kriegt etwas. In der Wirtschaft gilt: Findet man einen Idioten, kriegt man mehr, als man gegeben hat. Trifft man auf einen, der schlauer ist als man selbst, kriegt man weniger und geht pleite. So einfach ist der Kapitalismus erklärt. Das ist ganz normale menschliche Verhaltensweise. Zu glauben, man könne das mit einer Art Blümchenopposition, die sich ganz doll lieb hat, außer Kraft setzen, fand ich so albern, dass ich irgendwann damit aufgehört habe.

Ab hier lesen nur GALORE-Abonnenten kostenlos weiter! Eines der vielen Abo-Extras.