
Jana Hensel
„Ostdeutsche Identität ist ein extrem komplexes Thema.“
Zur Person
Jana Hensel (geboren am 03.07.1976 im sächsischen Borna) wuchs in Leipzig auf. Sie studierte Germanistik und Romanistik in Leipzig, Marseille, Berlin und Paris. 1999 war sie Herausgeberin der Leipziger Literaturzeitschrift „Edit“, 2002 erschien ihr Generationenbuch „Zonenkinder“, in dem sie ihre Erfahrungen als DDR-Jugendliche nach der Wiedervereinigung beschreibt. Mit 350.000 verkauften Exemplaren stand der Titel ein Jahr lang auf der „Spiegel“-Bestsellerliste und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Danach arbeitete sie als freie Journalistin unter anderem für „Die Zeit“ und erhielt 2010 den Theodor-Wolff-Preis. Von 2012 bis 2014 war sie Mitglied der Chefredaktion der linken Wochenzeitung „Der Freitag“. 2017 erschien ihr erster Roman „Keinland“. Seit 2018 ist sie Autorin von „Zeit Online“. Gemeinsam mit dem Soziologen Wolfgang Engler veröffentlichte sie im Herbst 2018 den Gesprächsband „Wer wir sind. Die Erfahrung, ostdeutsch zu sein“. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihrem Sohn in Berlin.
01. August 2019, Berlin. Jana Hensel wirkt ein wenig gehetzt, als sie zum Interview auf dem Terrassendach des Aufbau-Verlages erscheint, der sich in Kreuzberg in unmittelbarer Nähe des einstigen Berliner Mauerstreifens befindet. Der Termin hat sich um anderthalb Stunden verzögert, weil sie mit einem Fernsehteam – sie ist aktuell als Expertin fürs Ostdeutsche sehr gefragt - im zugestauten Zentrum Berlins unterwegs war. Nun muss sie erst mal rauchen – keine alte Ostmarke. Nach einem kurzen Geplänkel über den Ostfußball – ihr Sohn hält zu RB Leipzig, der Interviewer zum 1. FC Union Berlin – beginnt das Interview unter dem nicht mehr geteilten Himmel von Berlin.
Frau Hensel, in diesem Jahr feiern wir den 30. Jahrestag des Mauerfalls, 2020 heißt es dann 30 Jahre Deutsche Einheit. Warum können Sie auf diese Feierlichkeiten verzichten?
Ich habe im vergangenen Jahr einen Artikel geschrieben: „Schafft den 3. Oktober ab!“ Das geschah aus einer Laune heraus, nachdem ich mir das Programmheft der offiziellen Feierlichkeiten rund um den Reichstag angeschaut hatte. Es gab ja schon längst den Rechtsruck in Teilen der ostdeutschen Gesellschaft, und ich war ziemlich verwundert, dass man diesen Feiertag dennoch so organisierte, als sei nichts Wesentliches geschehen. Hinzu kam, dass unter all den Bands, die beim Popkonzert vorm Brandenburger Tor spielen sollen, kein einziger ostdeutscher Act war. Der Artikel auf „Zeit Online“ hatte dann in kürzester Zeit 600.000 Aufrufe, vor allem von Ostdeutschen gab es viele Reaktionen.
Mit welchem Tenor?
Sie gaben mir recht. Viele scheinen inzwischen wirklich sehr genervt von dieser offiziellen Erinnerungskultur, von der Überblendung der ja oft doch sehr widersprüchlichen Erfahrungen. Das gilt nicht nur für die Feiertage, wird bei diesen Anlässen aber besonders sichtbar.