
Dominik Bloh
„Überleben bedeutet, immer im Jetzt zu sein.“
Zur Person
Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte über zehn Jahre auf der Straße, nachdem seine Mutter ihm aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung im Alter von sechzehn Jahren „eine Stunde Zeit gab“, seine Sachen zu packen und ihr Leben zu verlassen. Die langen Jahre ohne Obdach endeten, als er 2015 während des Höhepunkts der Flüchtlingskrise den eingetroffenen und ebenfalls auf der Straße campierenden Menschen half, obwohl er selbst in vergleichbarer Lage war. Als der ehemalige Fußballprofi und heutige Unternehmer und Stiftungsleiter Robert „Bobby“ Dekeyser dieses Engagement in Hamburg mitbekam, bot er Dominik Bloh an, ihm zu helfen und „ab sofort“ keine Nacht mehr draußen verbringen zu müssen. Blohs Straßenbiografie „Unter Palmen aus Stahl“ wurde zum Bestseller. In seinem Blog erzählt er „Geschichten von der Straße“, arbeitet an einer Schule mit verhaltensauffälligen Jugendlichen und betreibt mit „GoBanyo“ den Duschbus für Obdachlose. Bloh lebt in Hamburg.
5. Juli 2023, Dortmund. Der Sturm greift in das weiße T-Shirt wie in ein Segel, als sich Dominik Bloh auf dem Vorplatz des Dortmunder U winkend nähert. Im Kino des Kunst- und Kulturzentrums findet später eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Straßenmagazin „bodo“ statt, bei der er mitwirkt. Draußen fliegen Tüten durch die Luft, junge Bäume stehen schräg in den Böen. „In Hamburg nennen wir das Sommer“, lacht der Mann, der zehn Jahre lang selbst auf der Straße gelebt hat und heute durch Literatur und Aktivismus für Aufmerksamkeit sowie Hilfe für Obdachlose sorgt. Wenig später sitzt er beim Fotoshooting auf den riesigen Stufen, die zum nebenan gelegenen Berufskolleg führen, und schaut auf Wunsch mal heiter und mal nachdenklich über eine Betonreling auf die umtriebige Stadt. Eigentlich sei das gar nicht seins, meint er, denn „posen können andere besser“. Wie sein Programm aussehen wird? „Ich erzähle, improvisiere, lasse es auf mich zukommen.“ Nach den Fotos und vor dem Interview braucht Bloh erst mal eine Pause. Um uns dann präzise und nachdenklich mit in eine Lebensrealität zu nehmen, die immer noch zu häufig verdrängt wird.
Dominik Bloh, unterschiedliche Lebensrealitäten sorgen für unterschiedliche Blicke auf die unmittelbare Umgebung. Nehmen wir den Ort, an dem wir uns gerade befinden: das Dortmunder U samt Vorplatz. Für uns Presseleute geht es möglicherweise darum, wo wir das Auto parken oder drinnen Strom für die Geräte finden. Ein Tourist steuert das Kulturzentrum wegen der Ausstellungen an und schaut vielleicht, wo in der Nähe man danach noch was essen kann. Mit welchem Filter hätten Sie zu Ihrer Zeit als Obdachloser diese Umgebung gescannt?
Ich habe draußen geschaut, wo es tendenziell regen- und windgeschützt ist, weil uns gerade vor der Tür ziemlich heftig der Wind um die Ohren gepfiffen ist. Und selbstverständlich habe ich darauf geachtet, ob es irgendwo Platten gibt. Kann ich erkennen, dass sich hier regelmäßig Menschen aufhalten? Sehe ich irgendwelche Gegenstände, die Menschen auf der Straße im Alltag gebrauchen? Mein Auge schweift immer noch nach diesem Leben, das viele heute weiterhin führen müssen.
Sie meinen Dinge, die auf Schlafplätze von Obdachlosen hindeuten?
Auf feste Platten, genau. Meiner ersten Einschätzung nach haben wir da draußen einen Ort, an dem man sich langfristig aufhalten könnte. Man sieht allerdings keine Isomatten, keinen Schlafsack, kein zusammengepacktes Lager. Das muss ja nicht einmal voll ausgebreitet, sondern kann auch ordentlich verstaut sein. In einem Karton oder gestapelt in einem Einkaufswagen, über den dann eine Plane kommt. Das wird sehr oft toleriert. Solange alles in Ordnung und sauber ist, haben viele Menschen kein Problem. Nichtsdestotrotz ist da draußen niemand, obwohl wir uns nahe am Hauptbahnhof befinden, bei dem es sich mit Sicherheit um einen hochfrequentierten Ort handelt.