Tupoka Ogette
„Wir sind alle rassistisch sozialisiert.“
Zur Person
Tupoka Ogette, geboren 1980 in Leipzig, reiste kurz vor der Wende mit ihrer Mutter in den Westen aus. Später kehrte sie nach Leipzig zurück, um dort Afrikanistik und Deutsch als Fremdsprache zu studieren. In Grenoble, Frankreich, studierte sie zudem International Business. Seit knapp zehn Jahren arbeitet Ogette als Trainerin für Antirassismus, sie leitet Workshops, hält Keynotes und berät Unternehmen, Institutionen und Vereine. 2017 ist ihr Buch „Exit Racism: Rassismuskritisch denken lernen“ erschienen. Mitte 2020 platzierte sich das Buch erstmals auf der Spiegel-Bestseller-Liste.
27. Juli 2020. Eigentlich möchte Tupoka Ogette in ihrer Sommerpause keine Presseanfragen beantworten – das steht zumindest in der automatischen Mail auf unsere Anfrage. Kein Wunder: Seit die Black Lives Matter-Bewegung weltweit für Aufmerksamkeit sorgt, ist die Autorin und Antirassismus-Trainerin in den Medien sehr präsent. Für GALORE macht die 40-Jährige dann aber doch eine Ausnahme. In einem fast zweistündigen Telefoninterview spricht sie über Alltagsrassismus und Abwehrmechanismen, über Wut und Trauer – und darüber, wie Weiße Menschen lernen können, rassismuskritisch zu denken.
Frau Ogette, ist es schon rassistisch, eine Schwarze Frau auf Rassismus anzusprechen?
Das kommt natürlich darauf an. Wenn ich als Person des öffentlichen Lebens Interviews gebe oder Workshops abhalte, bin ich beruflich unterwegs und eröffne selbstbestimmt einen Raum, um Sachverhalte zu erklären und Fragen zu beantworten. Aber auch in diesem Raum weise ich darauf hin, dass bitte niemand rausgeht und nun alle Schwarzen Menschen oder People of Colour einfach so nach ihren Rassismuserfahrungen fragt. Wenn ich unterwegs bin, möchte ich nicht, dass mir jemand auf der Straße übergriffige Fragen stellt. Und wir reden dabei nicht nur von bösartigen Fragen, sondern von solchen, die vielen Weißen Menschen harmlos erscheinen.
Zum Beispiel?
Wenn mich jemand fragt, welche Erfahrungen ich mit Rassismus mache, dann werde ich durch die Frage genötigt, meine eigene Traumatisierung hervorzuholen. Dennoch wird von Schwarzen Menschen und PoC erwartet, dass sie bei Grenzüberschreitungen ruhig bleiben und alles mit einem Lächeln erklären. Das ist unangenehm und gewaltvoll. Das Letzte, was ein von Rassismus Betroffener Weißen Menschen schuldet, ist, ihnen seine Unterdrückung zu erklären. Wer sich dafür interessiert, kann Tausende Berichte und Videos in einschlägiger Literatur und im Internet finden. Anders ist es, wenn wir in ein echtes Gespräch kommen, „Sie als Weißer Mann und ich als Schwarze Frau“, in dem Schwarzen Menschen und PoC wirklich zugehört wird, sie in ihren Erfahrungen ernst genommen und diese nicht relativiert werden, auch dann, wenn Weiße Menschen dabei etwas erfahren, was sie unbequem finden.