Roberto Saviano

Roberto Saviano

„Ich bin es leid, dieses Leben zu leben.“

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  • Franziska Gilli
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Zur Person

7. März 2024, Rom. Roberto Saviano sitzt im tintenblauen Pullover vor einer weißen Wand, an der Ausschnitte aus Frauenporträts verschiedener berühmter Maler hängen, unter anderem von Botticelli oder Vermeer. Saviano hat sie ausgedruckt und gerahmt. Während unseres Gesprächs zieht er von Zeit zu Zeit an einem Zigarillo mit Anisaroma. Seit Erscheinen seines Anti-Mafia-Romans »Gomorrha« vor 18 Jahren steht er unter Polizeischutz. Der Schriftsteller gibt sich höflich, herzlich, liebenswürdig, doch prägt die bleierne Schwere der Einsamkeit das gesamte Interview. Wenn Saviano ein Lachen entfährt, dann nicht aus gekitzelter Eitelkeit, sondern um für einen kurzen Moment das zu korrigieren, was das Leben ihn lehrt: Du bist nirgendwo sicher. Du darfst niemandem trauen.

Roberto Saviano, wie erklären Sie jemandem, der Sie nicht kennt, Ihre Mission?

Ich dachte, ich könnte mit dem Instrument der Literatur, mit meinen Worten, die Geschichte meines Landes, der Mafiafehden, der kriminellen Macht erzählen – um damit die Realität in kurzer Zeit verändern. Bis zu einem gewissen Grad ist mir das auch gelungen. Aber: Ich habe dabei alles verloren. Alles. Den großen kommerziellen Erfolg habe ich nie gesucht, auch die vielen Preise sind mir egal. Ich wollte etwas viel Ehrgeizigeres, nämlich mit meinem Schreiben die Mafia besiegen. Dafür habe ich einen sehr hohen Preis bezahlt.

Sie haben Ihr Leben verloren.

Ich bin eine Witzfigur, mein Leben ist erbärmlich, mein eigenes Land hasst mich. Die Leute empfinden „Schadenfreude“, ein wunderbares deutsches Wort – genau wie „Nestbeschmutzer“. Von allen Seiten wird mir vorgeworfen, ein Nestbeschmutzer zu sein, nicht nur von Camorristen, also Kriminellen, sondern auch von der „vernünftigen“ Seite. Im Nachhinein würde ich dieses Buch nie wieder schreiben. Ich habe alles verspielt, alles verloren. Ich wurde zu einer Zielscheibe. Den Camorra-Boss Francesco Bidognetti hat man wegen seiner Todesdrohungen gegen mich erst nach 15 Jahren verurteilt. Warum hat das so lange gedauert? Wer soll das verstehen? Es war ja kein komplizierter Fall. Solche Dinge sind für mich, gelinde gesagt, sehr entmutigend.

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