Michael Holtschulte
„Der Depressive hat dauerhaft Motten im Bauch.“
Zur Person
Michael Holtschulte, Jahrgang 1979, brachte es in seiner Heimatstadt Herten aus Versehen fast zum Bürgermeister, studierte an der Ruhr-Universität Bochum Germanistik, Politikwissenschaft und Sozialpsychologie und publizierte seine ersten Cartoons bereits lange zuvor als Teenager in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung. Schnell ermöglichten ihm sein Talent, sein Fleiß und sein Blick für das Einfangen des Zeitgeistes, sich als Illustrator und Cartoonzeichner selbstständig zu machen. Eher zeitlos gestaltet sich hingegen seine langlebigste Reihe „Tot, aber lustig“ mit schwarzhumorigen Szenen aus dem Dasein des Sensenmanns und seines Sohnes in Ausbildung. Holtschulte zeichnet für zahlreiche Zeitungen und Magazine wie die Süddeutsche Zeitung, den Eulenspiegel, Deadline, Return oder Trailer und veröffentlicht regelmäßig Bücher bei Lappan. Auf der Bühne spielt er seine Cartoons solo mit dem Programm „Das Ende ist nah!“ oder im Doppel mit Oli Hilbring unter dem Titel „Zwei Stricher packen aus“, wie auch ihr gemeinsamer Podcast heißt.
29. Januar 2024, Essen. Das Gespräch mit Michael Holtschulte findet am Esstisch statt, doch der gemeinsame Spaziergang danach erstreckt sich über die zweifache Zeit. Der erfolgreiche Cartoonist möchte uns spüren lassen, was ihm tagtäglich dabei hilft, gesund zu bleiben, nachdem er eine lebenslang verdrängte Depression aufgedeckt und überwunden hat. Der Weg führt in den Kruppwald, einen kernigen Forst im Essener Süden zwischen Stadtgewusel und Baldeneysee, benannt nach der Industrielegende Alfred Krupp, dessen berühmte Villa Hügel in der Nähe steht. Häufig dreht Holtschulte hier eine Runde mit dem Hund, der ihm bei seinem Lebenswandel eine große Hilfe war. Den endgültigen Ausschlag, sich einzugestehen, dass etwas nicht stimmt und alles sich ändern muss, gab die nahende Geburt des Sohnes. Heute haut den frisch mit dem wichtigsten deutschen Karikaturenpreis dekorierten Pointenproduzenten kein Gegenwind mehr um.
Michael Holtschulte, wie haben Sie heute Ihren Tag begonnen?
Ich bin aufgewacht mit einem Kinderfuß im Rücken, während mein eigener Fuß fleißig von einer Hundezunge angeleckt wurde. Hin und wieder schläft der Sohnemann immer noch gern bei den Eltern. Und der Vierbeiner fordert Bewegung.
Die Frage zielt natürlich auf Rituale, auf heilsame Gewohnheiten.
In der Tat haben mein Sohn und der Hund sie in mein Leben gebracht. Gassi gehen als erste Aktion des Tages. Am Anfang Windeln wechseln, inzwischen den Kleinen für die Kita fertig machen und beschäftigen. Klamotten, Bad, Frühstück. Alles, was normal klingt, früher aber teilweise unmöglich für mich war. Liege ich ausnahmsweise ein wenig länger im Bett, steht der Hund daneben und starrt mich wach. Klappt das nicht, begibt sich die Zunge an die Füße. Ein Wecker ist nicht mehr nötig. Der Hund hat mir während meines persönlichen Wandels im Grunde wörtlich genommen den Tag gerettet. Morgenrunde, Mittagsrunde, Abendrunde, hin und wieder sogar ein Nachtspaziergang… da kamen locker zehn Kilometer zusammen, für die ich mich nach draußen begeben musste. Solche Abläufe kannte ich vorher nicht.