Leïla Slimani

Leïla Slimani

„In erster Linie bin ich Mensch.“

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Zur Person

26. April, 2021, Paris. Leïla Slimani ist erleichtert. Nach drei Wochen erneutem Lockdown kehren die Kinder in die Schule zurück. „Très, très contente" sei sie über diesen ersten freien Montagmorgen. Homeschooling wird in Frankreich vehementer diskutiert als hierzulande, wo Frauen immer noch davor zurückschrecken, als Rabenmutter bezeichnet zu werden. Diesen Begriff fand Slimani bei unserem letzten GALORE-Gespräch schon irritierend. Ideologien und festgelegten Rollenbildern steht sie grundsätzlich skeptisch gegenüber. Selbstentfaltung, Freiheit, Feminismus sind Slimanis Herzensthemen. Wie aber spiegeln sie sich in der Herkunft? Für das Interview macht die Autorin es sich in ihrem Sessel bequem, währenddessen trinkt sie Kaffee und raucht genüsslich ihre erste Zigarette. Ein Gespräch über den Geschmack der Heimat und die Verweigerung der Zähmung.

Leïla Slimani, die Zitrange, eine Kreuzung aus Orange und Zitrone, ist symbolisch für Ihr neues Buch „Das Land der Anderen“, in dem Sie Bikulturalität und Herkunft ergründen. Wonach schmeckt diese Hybridfrucht?

Das kommt auf die Situation an. Der Geschmack ist auch von der jeweiligen Zeit abhängig. Manchmal schmeckt die Frucht bitter und ist ungenießbar, dann wiederum hat sie ein köstliches Aroma und man hält sie für die beste Frucht der Welt. In der Kolonialzeit, von der mein Buch handelt, schmeckte die Zitrange gewiss bitter, denn es war damals sehr schwierig, zweierlei zu sein. Man musste wählen, sich zu einem Lager bekennen. Alles folgte einer Logik des Krieges, stand im Zeichen von Dominanz und Unterwerfung. Heutzutage dagegen, wenn man in London, Berlin, Paris oder New York lebt, ist es eher von Vorteil, multikulturell zu sein und verschiedene Sprachen zu sprechen. Die Zitrange ist daher zu unserer Zeit in diesen Gegenden angenehm wohlschmeckend.

Kann man sich den eigenen Wurzeln über Düfte, Gerüche, den Geschmack nähern?

Als ich das Buch zu schreiben begann, befand ich mich in Paris. Ich musste mir die Düfte und Aromen meiner Kindheit in Marokko in Erinnerung rufen; das war eine sehr sinnliche Annäherung an die Vergangenheit. Je länger etwas zurückliegt, desto deutlicher wird der Geschmack der Kindheit, so zum Beispiel der Duft der Olivenbäume im Garten meiner Großmutter. Sinnlichkeit ist ein Wesensbestandteil der Erinnerung und damit auch des Schreibens.

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