Katja Kullmann

Katja Kullmann

„Wir sind längst eine Gesellschaft der Singularitäten.“

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  • Meike Kenn
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Zur Person

11. März 2022, Berlin. Es ist neun Uhr morgens. Katja Kullmann steht kurz vor der Veröffentlichung ihres fünften Buches „Die Singuläre Frau“ – es ist ein Manifest gegen ein altes Familienmodell, das symbolisch bis heute in Werbespots für die Margarine-Marke „Rama“ gezeigt wird. Die Menschen leben längst anders, weiß Kullmann. Während des Gesprächs sitzt sie auf dem Balkon ihrer Berliner Mietwohnung, in der sie allein lebt. Obwohl der frühe Morgen nicht die beste Zeit für ein Interview sei, hat die Journalistin und Autorin auf jede Frage eine rasche Antwort in essayhafter Ausführlichkeit. Was bedeutet der gerade stattfindende Zeitenwandel für unser Zusammenleben? Lässt sich das Ideal der Kernfamilie noch aufrechterhalten, wenn heute 42 Prozent aller deutschen Haushalte Singlehaushalte sind? Wie wollen, wie können, wie sollten wir leben? Und ist Carrie Bradshaw eine Schnalle?

Katja Kullmann, haben Sie gut geschlafen?

Nein, ehrlich gesagt nicht. Und ein Interview um neun Uhr! Das ist doch die unsexieste Zeit dafür, oder? Und dann auch noch aus dem Homeoffice. Am Telefon. Aber ich habe einen Kaffee und Zigaretten. Gut geschlafen jedoch nicht, nein. Ich schlafe seit Tagen nicht mehr gut, der Krieg treibt mich um. Ich bin hauptberuflich Journalistin, verantwortlich für das Politik-Ressort einer Wochenendzeitung. Rund um die Uhr bekommen wir die schlimmsten Nachrichten, Bilder und Geschichten unserer Korrespondenten auf den Tisch. Ein belgischer Gesellschaftswissenschaftler, Daniel Warnotte hieß er, nannte diese Berufskrankheit, als Journalistin in so unruhigen Zeiten wie diesen nicht abschalten zu können, vor hundert Jahren „Déformation professionnelle“.

Es sind auch Zeiten, in denen man gerne in die Vergangenheit abschweift. Vor 20 Jahren ist Ihr erstes Buch erschienen. „Generation Ally“ bezog sich auf die damals sehr prägende Fernsehserie Ally McBeal. Was war das für eine Zeit damals, im Jahr 2002?

Ich war Anfang 30, in einer langjährigen, eheähnlichen Partnerschaft, wie ich es immer sage. Wir waren im besten Alter, um über Kinder nachzudenken. Ich hatte mich kurz vor der ersten großen Krise des Journalismus, also kurz bevor alles schwieriger und Honorare knapper wurden, in die Selbstständigkeit gewagt. Und ich habe dann, für einen ganz kleinen Vorschuss, dieses Buch geschrieben, in dem ich mein Unwohlsein festhielt. Ich gehörte damals zum ersten Schwung sehr gut ausgebildeter Töchter der unteren Mittelschicht. Wir hatten in den späten 90er-Jahren das Gefühl, die Welt stünde uns offen. Dann aber, als Jungredakteurin, bemerkte ich: Alle Führungskräfte sind Männer. Und Männer benehmen sich in Konferenzen anders. Sie nehmen sich mehr Unverschämtheiten aller Art raus, auch mir gegenüber. Mein junges Berufsleben war voller – heute würde man das sagen – MeToo-Erfahrungen, gegen die ich mich persönlich zwar gut wehren konnte, aber gleichzeitig wusste: Irgendwas läuft hier schief. Und irgendwas fehlt auch.

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