Karlheinz Geißler
„Das Glück des Menschen ist die Verspätung.“
Zur Person
Karlheinz Geißler (geboren am 22.10.1944 in Deuerling in der Oberpfalz) studierte in München Philosophie, Ökonomie und Pädagogik. Kurze Zeit arbeitete er als Lehrer, ging dann an die Universität zurück. 1975 wurde er Professor für Wirtschaftspädagogik an der Universität der Bundeswehr München. An verschiedenen Universitäten im In- und Ausland hatte er Gastprofessuren. Seit 2006 ist er emeritiert. Geißler ist Mitgründer der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik. Seit über 30 Jahren forscht er zum Thema „Zeit“ – und lebt seither ohne Uhr und bis heute ohne Führerschein. Geißler hat mehrere Bücher zu dem Thema geschrieben (zuletzt: Time is honey – Vom klugen Umgang mit der Zeit) und ist Leiter des Projekts Ökologie der Zeit an der Evangelischen Akademie in Tutzing.
20. November 2018, München. Das Interview mit Karlheinz Geißler beginnt mit ein paar Minuten Verzögerung. „Kein Problem“, sagt der 74-Jährige. „Ich habe keine Uhr, daher habe ich das gar nicht gemerkt.“ Im anderthalbstündigen Gespräch hält der Zeitforscher immer wieder inne und sagt: „Da muss ich erst mal kurz nachdenken.“ In bedächtigem Ton spricht Geißler über die ständige Zeitnot, die Erfindung der Uhr und die positiven Aspekte des Wartens und der Langweile. Sein Credo: Aufhören, die Zeit ständig mit Geld zu verrechnen! Denn dass Zeit Geld sein soll, diktiert uns nicht die Natur des Menschen, sondern der Kapitalismus.
Herr Geißler, als der Kirchenvater und Gelehrte Augustinus die Zeit erklären sollte, hat er gesagt: „Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es, wenn ich es aber einem, der mich fragt, erklären soll, weiß ich es nicht.“ Können Sie als Zeitforscher erklären, was es mit der Zeit auf sich hat?
Die Zeit ist zunächst nur ein Begriff, eine Vorstellung vom Werden und Vergehen. Wir als Naturwesen sind darauf geeicht: Wir werden geboren und sterben, das heißt, wir sind in diese Dynamik hineingesetzt. Das nennen wir dann Zeit, und von dieser machen wir uns als Individuen und als Kulturen unterschiedliche Vorstellungen.
Und Sie als Zeitforscher erkunden diese Vorstellungen?
Genau, es ist ein bisschen wie beim Fußball: Ich sitze auf der Tribüne eines großen Stadions und schaue mir das Zeit-Spiel an. Dabei beobachte ich, wie die Menschen mit Zeit umgehen.