
Jonathan Meese
„Der Einzelne muss gegen die Mehrheit vorgehen.“
Zur Person
Jonathan Meese (geboren am 23. Januar 1970) verbrachte seine ersten drei Lebensjahre in Tokio. Die Mutter zog mit ihren drei Kindern nach Deutschland, der Vater, ein Bankier, blieb in Japan. „Johnny“, wie er genannt wird, galt in seiner gesamten Kindheit und Jugend als „Spätentwickler“. Lange Zeit wusste er nicht, was aus ihm werden sollte, bis er im Alter von 22 Jahren die Malerei entdeckte. Er studierte von 1995 bis 1998 an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, brach das Studium ohne Abschluss ab. Der befreundete Maler Daniel Richter empfahl ihn an die Berliner Galerie „Contemporary Fine Arts“, was für Meese den Einstieg bedeutete. Mit raumgreifenden Installationen sowie Aktionen und Performances erreichte er ein internationales Kunstpublikum und etablierte sich mit seiner radikalen Malerei und seinen theatralischen Performances als Enfant terrible. In seinen Arbeiten nimmt er unter anderem Bezug zur deutschen Philosophie- und Literaturgeschichte und zur deutschen Mythologie. In seinen Manifesten ruft er seit Jahren die „Diktatur der Kunst“ aus. Jonathan Meese lebt und arbeitet in Ahrensburg und Berlin.
21. Oktober 2019, Berlin. Lautes Lachen. Jonathan Meese rennt mit einem Plastik-Laserschwert durchs Atelier. Es scheint, als wolle er mit dem Fotografen Fangen spielen. Da ist es also, das Spielkind Meese, das im nächsten Moment auf eine Leiter klettert, ausgelassen mit einem Mädchenschirm herumfuchtelt – und sich damit an der Stirn verletzt. Blut tropft. Wir beginnen das Gespräch mit einem rot durchtränkten Taschentuch. Der exzentrische Künstler sitzt aufrecht, er ist die Ruhe selbst und spricht sehr konzentriert. Später werden wir gemeinsam ein Bild kreieren. Und auch Mutter Brigitte kommt noch vorbei – eine gelassene, warmherzige Frau. So familiär hat sich ein Interview selten angefühlt. Bei der Verabschiedung winkt Meese, am Tor stehend, lange hinterher.
Herr Meese, Sie haben sich gerade an der Stirn verletzt, das Taschentuch ist voller Blut. Sind Sie jemand, der sich schnell verletzt?
Kaum jemand wird ohne Narben durch das Leben kommen. Gehört dazu. Als ich in Schottland war, damals war ich 19 Jahre alt, haben wir Pommes gemacht. Der Topf war zu. Als der Deckel weggenommen wurde, stand ich davor. Stichflamme. Narbe. Bis heute eine sensible Stelle.
Der Mensch ist verletzlich. Wünschten Sie, er wäre es nicht?
Das wäre die Figur des Highlanders. Kann man machen. Ich bin aber lieber Robinson Crusoe. Weil der auf seiner Insel zufrieden ist und sein Ding durchzieht. Manchmal kommen vielleicht Gäste, aber sonst lässt man ihn in Ruhe. Auch den Seewolf mag ich. Überhaupt alle Einzelgänger, die hart am Sturm segeln.