Gratis-Interview Jörg Hartmann

Jörg Hartmann

„Ich wollte die Welt retten. Gut, hat nicht geklappt.“

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  • Jonas Holthaus
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10. Dezember 2018, Berlin. Zwei Minuten nach der verabredeten Zeit um 10 Uhr vormittags betritt er das Schwarze Café nahe Savignyplatz in Charlottenburg. Erster Satz: „Ich hasse es, zu spät zu kommen.“ Er habe noch seine zwei kleinen Kinder in die Kita bringen müssen. Der Schauspieler reibt sich die Hände, zieht die Schultern hoch – ihm sei kalt. Während des Interviews lässt er seinen Anorak an. So düster die Rollen auch oft sind, die er spielt: Es sind eben nur Rollen. Der private Jörg Hartmann ist ganz vom Schlag eines Menschen aus dem Ruhrgebiet: bodenständig, direkt – und sehr humorvoll. Es ist ein Gespräch wie unter Kumpels an der Biertheke. Für ein Pils ist es noch zu früh, er bestellt einen Cappuccino. Gerade aus Uruguay zurück fällt ihm mehr denn je auf, dass hierzulande chronische Muffeligkeit herrscht. Und er fragt sich: Was soll das?

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Herr Hartmann, Sie wirken müde.

Man sieht es mir also an. (lacht)

Und wie.

Ich war vier Wochen in Uruguay, bei Dreharbeiten, und kam erst vorgestern zurück. Ich hänge also mittendrin im Jetlag. Ich habe in der Nacht kaum geschlafen. Eigentlich gar nicht.

Davon ausgehend, dass jede Reise einen verändert – welche Erkenntnis bringen Sie aus Uruguay mit?

Dass die Menschen dort um einiges entspannter sind als wir hier. Dort wird nicht gelebt, um zu arbeiten, sondern gearbeitet, um zu leben. Und wenn mal was anders läuft, dann ist es eben so. Bei uns muss ja immer alles funktionieren. Ich habe selbst gemerkt, wie ich davon beeinflusst werde, von diesem dauernden Perfektionismus. Wenn bei uns die Straße abgesperrt ist, weil dort gedreht werden muss, dann ist die abgesperrt, fertig. In Uruguay jedoch fährt halt doch irgendein Auto durch. Ich dachte zuerst, Mann, warum kriegen die das nicht gebacken! Dann habe ich mir gesagt, Hartmann, komm mal runter, die machen das hier eben anders. Und schließlich: Es hat ja alles geklappt.

Ein bisschen weniger Verbissenheit könnte uns Deutschen also nicht schaden.

Und mehr Lebensfreude, ich frage mich, wo ist die denn? Was bitte ist hier los? Geh mal einkaufen in Berlin, da laufen die Menschen mit herabhängenden Mundwinkeln durch die Straßen. Oder schnauzen einen beim Bäcker an. Da denke ich mir, Freunde, reißt euch doch einfach mal zusammen, wir haben alle unsere Problemchen! Ich bin dann wiederum von mir selbst genervt, weil mich das so aufregt. Aber ich bin nun mal nicht der hinduistische Fels in der Brandung.

Der buddhistische Fels.

(lacht) Ja, der war das, den meine ich. Ich verstehe nicht, warum das so in mich hineingeht, diese schlechte Laune der anderen, warum ich das nur schwer abschütteln kann. Schlimm auch, wenn morgens bei der Regionalbahn von Potsdam nach Berlin alle reindrängen, sobald die Türen aufgehen, anstatt die Leute erst mal rauszulassen. Alle gieren auf einen Platz, nur schnell, bevor ihn mir jemand wegnimmt. Die meisten Menschen sind eine Ansammlung von Ich-AGs: Hauptsache, ich selbst komme nicht zu kurz.

Oft hilft Humor, um Mitmenschen besser zu ertragen.

Manchmal gelingt es mir, da mache ich einen lockeren Spruch und die Situation entspannt sich.

Sollten wir toleranter sein?

Wenn von Toleranz die Rede ist, dann wird schnell übertrieben. Als ginge es darum, alles und jeden zu tolerieren. Aber das ist völliger Unsinn. Ich kann nicht tolerieren, wenn da drüben jemand niedergeschlagen wird, ich kann Rechtsradikale nicht tolerieren, ich kann unfreundliche Menschen nicht tolerieren… Ach, mir fällt auf, es gibt ziemlich viel, was ich nicht tolerieren kann. Und auch nicht will.

Wo liegen Ihre Abgründe?

Neulich habe ich eine Biografie über Hans Fallada gelesen, einen Schriftsteller, der für mich zu den begnadetsten überhaupt gehört. Ich meine, wie schafft man das, in 27 Tagen ein Buch mit 700 Seiten zu schreiben? Das ist einfach genial. Fallada war ein von Dämonen heimgesuchter Künstler mit zig Suchtproblemen. Wenn ich mir seine Abgründe anschaue, dann fallen meine im Vergleich harmlos aus. Dafür liebe ich das Leben zu sehr, als dass ich mit 53 Jahren morphiumsüchtig dahinsiechen möchte.

„Die Menschen sind eine Ansammlung von Ich-AGs.“

Sie mogeln sich an einer Antwort vorbei.

(lacht) Es tut mir leid, aber ich kann in dieser Hinsicht nicht viel aufbieten. Ich habe nicht mal ein Trauma. Mir fallen einige Kollegen ein, die erzählen, was sie für eine schlimme, schlimme Kindheit hatten, wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich das überhaupt glauben soll. Da wird jeder gestorbene Goldhamster groß aufgeblasen. Jeder hat doch seine Erfahrungen gemacht im Leben, denen man nicht gleich die Überschrift Trauma geben muss. Ich komme aus dem Ruhrpott, da neigen wir ohnehin nicht zur großen Tragödie. Ich könnte Ihnen nun auftischen, dass ich auf einer Verkehrsinsel aufgewachsen bin und mich da schrecklich einsam und verloren gefühlt habe. Oder dass ich still in der Ecke einer Pommesbude kauern musste.

Ihre Eltern betrieben zeitweise eine Pommesbude.

Sie können sich vorstellen, wie traumatisch das war, eine Kindheit im Frittenfett. (lacht) Aber die Verkehrsinsel, die gab es wirklich. Sie war gleich gegenüber. Die fand ich klasse. Mit vielen Büschen und Bäumen und ich mittendrin wie ein Robinson Crusoe.

Ihre Kindheit war also glücklich?

Wenn andere mit ihren Eltern brechen und sich rauskämpfen müssen und alles so traumatisch war, kann ich meinen Eltern dankbar sein, dass sie mir ein Liebesfundament gegeben haben. Eine wichtige Rolle spielte bei uns tatsächlich der Humor. Mein Vater hat auf diversen Feten des Handballvereins seine Nummern abgezogen, ist auf den Tisch geklettert und hat vor versammelter Mannschaft seine Späße gemacht. Meine Mutter, die das natürlich irgendwann alles kannte, fand das nicht immer so witzig. Letztlich aber habe ich gespürt, wie viel Kraft einem der Humor im Leben geben kann. Im Ruhrpott gehen die Leute eh nicht zum Lachen in den Keller.

Sie sind dreifacher Vater, worin war Ihr Vater Ihnen Vorbild?

Er hatte eine ausgeprägte emotionale Seite, sehr untypisch für einen Mann seiner Generation. Er hat nie eine Maske getragen und die Gefühle, egal welche, einfach rausgelassen. Ich bin froh, dass er mir das vorgelebt hat. Obwohl mir das als Kind manchmal zu viel war. Da dachte ich dann, ach, komm jetzt, sei doch mal ein Hart-Mann.

Warum konnte Ihr Vater mit seinen Gefühlen so offen umgehen?

Mein Vater hat drei Geschwister. Zu Hause wurde meist in Gebärdensprache gesprochen, denn beide Eltern waren taubstumm. Durch diese Art der Kommunikation war man weniger im Verstand, sondern viel im Empfinden. Mehr als um das, was jemand gesagt hat, ging es um das Gefühl. Oft legt Sprache, so wie wir sie benutzen, einen Deckmantel über den eigentlichen Kern, zu dem wir erst mal vordringen müssen. Durch die Gebärdensprache war alles viel unmittelbarer, auch die Zwischentöne wurden mehr wahrgenommen. Mein Vater hatte, wohl dadurch ausgebildet, ein extrem gutes Gespür für Menschen. Er durchschaute andere sofort und lag mit seiner Intuition immer richtig. Meine Mutter und ich haben jeweils oft erst viel später kapiert, wie jemand tickt. (überlegt) Es fällt mir nicht leicht, über meinen Vater zu sprechen, ohne gleich sentimental zu werden. Er ist im letzten Jahr gestorben. Ich wäre gerne da gewesen, um mich verabschieden zu können.

Was hat das verhindert?

Wir haben noch telefoniert, und ich sagte, ich komme, ich schaffe das. Es war der letzte Drehtag für den Bauhaus-Film in Tschechien, unweit von Prag. Ich hätte diesen Drehtag sausen lassen können, dann wäre ich noch rechtzeitig gekommen. Aber macht man das so einfach? Eine Weile habe ich mir deshalb schlimme Vorwürfe gemacht. Irgendwann habe ich kapiert, dass es ihm vielleicht zu viel gewesen wäre, wenn wir alle da gewesen wären. Er war nicht allein, meine Mutter war bei ihm.

„Ich komme aus dem Ruhrpott, da neigen wir ohnehin nicht zur großen Tragödie.“

Welche Erinnerungen haben Sie an die Schulzeit?

In Handball war ich eine echte Pflaume. Daher auch mein Spitzname: Fackel. Neulich war Abiturtreffen, meine ehemaligen Mitschüler nennen mich immer noch so. Fackel wird im Handball der Spieler genannt, der einen besonders starken Wurf hat. Bei mir war das aber ironisch gemeint.

Also: Schauspielerkarriere statt Sportlerkarriere.

Ich wollte eigentlich Biologe werden oder Ökologe, ich wollte die Welt retten. Gut, hat nicht geklappt. Ich hatte gehofft, einmal etwas erfinden zu können, was die Erosion am Amazonas stoppt und die Erde wieder fruchtbar macht. Es hat mich als Kind und Jugendlichen gequält, dass unsere Welt auf ihr Ende hinzusteuern schien. Aufrüstung, Artensterben, saurer Regen, Ozonloch, wo sollte das hinführen? Meine schlimmste Horrorvision habe ich einmal mit Ölfarben aufgemalt, ein surrealistisches Katastrophenszenario.

Sind Sie von sich enttäuscht, die Welt nicht gerettet zu haben?

Als Schauspieler machst du ja nun mal genau das Gegenteil: Du beschäftigst dich nur noch mit dir selbst, eine permanente Nabelschau. Kann sein, dass ich diese Form der Eigentherapie damals gebraucht habe. Klar, ich bin nicht unbedingt stolz darauf, einer Generation anzugehören, der es nicht gelungen ist, etwas richtig Großes anzuschieben. Als die Mauer fiel, das war sensationell, es schien einfach so zu passieren, ohne dass wir selber etwas machen mussten. Im Osten brachen plötzlich die Diktaturen weg, die Demokratie breitete sich aus, die Menschen konnten reisen. Wir ahnten nicht, dass das Fundament dieser Demokratie gar nicht so stabil ist, wie es den Anschein hatte. Sicher gab es auch damals schon kritische Stimmen. Aber wir haben ihnen nicht gut genug zugehört. Wir hätten viele Probleme schon viel früher anpacken müssen.

Was packen Sie heute an, damit sich was ändert?

Der Mensch ist wahnsinnig träge – und ich bin es auch. Ich sehe in Uruguay, wie Plastik an die Strände gespült wird, und auch dort berichten die Menschen, dass sich das Klima verändert hat und trotzdem schaffe ich es nicht, dauernd in diesem neuen Laden in Potsdam einzukaufen, in dem Waren unverpackt angeboten werden. Da bin ich oft zu faul, mit zwei kleinen Kindern diesen einen Kilometer weiter zu fahren – am besten auch nicht mit dem Auto – und das in den Alltag zu integrieren. Da will ich nichts beschönigen. Nicht mal ich, der in diesem Wolkenkuckucksstaat lebt, kriege es gebacken. Dabei wäre es dringend an der Zeit, diese ganze Verpackungsscheiße zu hundert Prozent loszuwerden.

Grundsätzlich: Was spricht dafür, Hoffnung zu haben?

Für mich ist das Glas immer halb voll. Der Mensch glaubt, er sei nur von Problemen umgeben. Das hat mit der Dauerpräsenz der Medien zu tun. Er sieht überall gigantische Probleme, die er nicht lösen kann. Weil überall die Hütte zu brennen scheint, macht ihn das hilflos. Sie brennt aber nicht nur. Überall gibt es Menschen, die was Gutes schaffen und erschaffen. Der Mensch trägt ja auch die Liebe in sich. Ein Donald Trump, den wir dauernd sehen, weil man meint, dauernd über ihn berichten zu müssen, freilich nicht, doch der muss ja nicht das letzte Wort haben. Warum hören wir dem überhaupt zu? Besser ist doch, dass wir einander zuhören und uns mit offenen Herzen begegnen.

„Meine schlimmste Horrorvision habe ich einmal mit Ölfarben aufgemalt, ein surrealistisches Katastrophenszenario.“

Sind Sie ein guter Freund?

Das können nur meine Freunde beantworten.

Ich frage aber Sie.

Ich glaube, ich habe meine Freundschaften oft lange Zeit vernachlässigt. In den vielen Jahren, in denen der Beruf noch so wahnsinnig wichtig war, in denen ich glaubte, ich werde nicht glücklich, ohne dass ich dieses oder jenes erreicht habe. In meiner Zeit an der Schaubühne war ich mit dem Theater verheiratet, was dem Familienleben damals einiges abverlangte. Nun habe ich noch mal mit zwei kleinen Kindern „nachgelegt“, ich habe meinen Job, durch den ich viel unterwegs bin – das macht es nicht leichter, Freundschaften zu führen. Das Leben rast und rast und wird gefühlt immer schneller, und es vergeht ein Jahr, bis ich den oder den wiedersehe. Das ist doch nicht normal, so wenig Zeit für Freunde zu haben! Andererseits ist das vielleicht typisch für die heutige Zeit: Jeder rotiert. Wenn abends mal Ruhe einkehrt und die Kinder im Bett liegen, bin ich selbst platt. Ich würde viel lieber sagen: Hey, Freunde, kommt, ich mache Rotwein auf, setzt euch an unseren Tisch, unser Haus ist offen.

„Einige Kollegen erzählen, was sie für eine schlimme Kindheit hatten. Da wird jeder gestorbene Goldhamster groß aufgeblasen.“

Wie wichtig ist Ihnen denn heute Ihre Arbeit?

Ich kann von meinem Beruf leben, das können nicht so viele Schauspieler, und ich habe eine großartige Frau und drei tolle Kinder, alles Gründe genug, um mich entspannt zurücklehnen zu können. Und doch kommen manchmal solche bescheuerten Fragen wie: Warum spiele ich nicht in diesem tollen Kinofilm mit? Wieso hat der Kollege diese geile Rolle bekommen? Und dann versuche ich mir zu sagen: Hartmann, entspann dich, es geht dir blendend, und dein Glück hängt doch garantiert an anderen Dingen. (lacht)

In dem ARD-Film „Lotte am Bauhaus“ zum 100-jährigen Gründungsjubiläum des Bauhauses verkörpern Sie den Bauhaus-Direktor Walter Gropius.

Der Mann ist eine Legende. Für mich eine große Freude, ihn zu spielen, denn ich interessiere mich sehr für Architektur. Viele Leute hier in Deutschland wissen gar nicht, was das Bauhaus eigentlich ist und denken eher an einen Baumarkt am Autobahndreieck. Es ist wirklich so. Als in Berlin eine Interims-Repräsentanz des Bauhaus-Archivs installiert wurde, am Ernst-Reuter-Platz, standen kurz vor der Eröffnung zwei Typen da, mit dem Bohrer in der Hand und fragten, wo denn eigentlich die Schrauben seien. Das kann man gar nicht glauben, wenn man die Bedeutung des Bauhauses kennt. Durch den Film wird der Bekanntheitsgrad hoffentlich wachsen.

Woher kommt Ihre Begeisterung für Architektur?

Prägend war ein Kunstlehrer auf dem Gymnasium. Er hat uns Architektur auf eine Weise nahegebracht, dass wir sofort den Zugang gefunden haben. Durch ihn habe ich verstanden, was Räume mit einem machen können. Wie sie uns beeinflussen, ist uns meist nicht bewusst. Wenn mir ein Film nicht gefällt, kann ich ausschalten, wenn ich ein Theaterstück nicht mag, kann ich rausgehen, aber wenn ich durch die Straßen gehe, dann bin ich dem Städtebau ausgesetzt. Und das ist nicht immer angenehm. Was mich stört, ist, dass ich mich in unseren Städten so selten geborgen fühle. Ich vermisse die Schönheit. Seien wir doch mal ehrlich, deutsche Städte sind zu 90 Prozent potthässlich. Das wenige Schöne, das nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt noch da war, wurde gleich mit abgerissen, und die Städte wurden, und das ist die nächste große Sünde, autogerecht gemacht. Wir haben fast schon vergessen, dass der Mensch in der Lage ist, Schönheit zu erschaffen, gerade auch in der Architektur. Wo das verwirklich ist, wirkt das positiv auf mich. Es gibt mir Kraft.

Der Künstler Joseph Beuys sprach von architektonischen Wunden. Diese wollte er heilen, indem er sie mit Fett beschmierte. Unter welchen architektonischen Wunden leiden Sie?

Zum Beispiel unter diesen verdammten Wärmedämmungen, die nicht ökologisch sind, sondern in der Regel das krasse Gegenteil. Überall entstehen mit Styropor ummantelte Schuhschachteln. Ein bisschen Rauputz draufgeknallt – und zack! – fertig ist das Renditeobjekt. Aber kaum lehne ich mein Fahrrad an solch eine Fassade, ist schon ein Loch drin. Das hält man doch nicht aus! Was soll denn später über unsere Zeit erzählt werden? Ist uns jegliche Baukultur abhandengekommen? Früher habe ich mich noch gefreut, wenn an einem alten Haus ein Gerüst stand, weil ich dachte, es wird liebevoll renoviert, heute denke ich: Oje, Wärmedämmung. Mit diesem Wahnsinn zerstören wir unsere Städte zurzeit ein weiteres Mal. Man darf sich ohnehin nicht wünschen, dass Häuser schön gemacht werden, sonst gilt man ja gleich als rückwärtsgewandter Monarchist. (lacht)

Demnach sind Sie ein Befürworter des umstrittenen Berliner Stadtschlosses, das wiederaufgebaut wird.

Bin ich. Es sieht sehr gelungen aus. Berlin wurde so viel genommen an historischer Bausubstanz, dass man gar nicht begreifen kann, wo eigentlich der Kern dieser Stadt liegt. Heute glauben viele, am Ku‘damm oder Potsdamer Platz befinde sich das alte Zentrum. Dabei war das frühere Stadtschloss der historische Kern, von dort ging alles aus. Durch den Neubau können wir das wieder spüren, deshalb ist für mich an dieser Stelle eine Rekonstruktion legitim und notwendig.

„Ich bin nicht stolz darauf, einer Generation anzugehören, der es nicht gelungen ist, etwas richtig Großes anzuschieben.“

Wohnen Sie gerne?

Ich bin froh, dass ich zwischendurch wo wohne, ja, das weiß ich sehr zu schätzen. Andererseits bin ich auch gerne unterwegs. Ich brauche neue Eindrücke.

Was mögen Sie an Hotelzimmern?

Es ist angenehm, einen Raum zu haben, der nichts von mir will. Zu Hause ruft es quasi aus jeder Ecke. Da ist der Schreibtisch, der will, dass ich die Unterlagen bearbeite, die auf ihm liegen, dort ist der Laptop, da das Telefon. Es ist viel schwieriger, Ruhe zu finden.

Gibt es ein Möbelstück, an dem Sie besonders hängen?

Ein Schrank von meinen Großeltern mütterlicherseits. Der passt eigentlich nirgendwo rein, aber ich kann den nicht weggeben, das geht nicht. Dabei meinte selbst meine Mutter neulich zu mir, verkauf den doch!

Haben Sie ein Händchen für Innenarchitektur?

Alles, was in unserer Wohnung ästhetisch ansprechend ist, ist meiner Freundin zu verdanken. In meinem Zimmer habe ich viel Krempel. Es ist dort eingerichtet wie in einem Provisorium, eigentlich studentisch. Meine Freundin sagt, was willst du mit dem ganzen Quatsch, wirf das doch endlich weg! Mich stört es nicht. Ich bin auch mit Klamotten ulkig, ich weiß gar nicht, was mein Stil ist. So lange es halbwegs okay aussieht, ziehe ich es eben an. Ich kenne Kollegen, die haben ihren Stil gefunden und ich denke mir, Mensch, toll. Ich kriege vielleicht alle zwei Jahre mal einen Schub und kaufe mir ein Teil, das was hermacht. Unübertroffen sind die Männer in Paris, wie aus dem Ei gepellt. Keine Ahnung, wie die das hinkriegen. Aber ich bin halt ein Kind des Ruhrgebiets, da rennen die Leute normalerweise in Jogginganzügen rum. Schon klar, sexy ist das nicht. Das ist aber diese Funktionsjacke, die ich heute trage, auch nicht. Aber wenigstens hält sie warm. Und das zählt. Ich bin inzwischen so eine Frostbeule, unglaublich. Vermutlich bin ich in den Wechseljahren. (lacht)

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Zur Person

Jörg Hartmann (geboren am 8.6.1969 in Hagen) wuchs am Rand des Ruhrgebiets in Herdecke auf. Um in die Fußstapfen seines Vaters Hubert Hartmann, einer Handball-Legende, zu treten, fehlte ihm das Talent. Er hatte dafür seine ersten Auftritte in der Theater-AG an der Realschule und später in der Laienspieltruppe Stiftsplatz-Theater. Nach dem Abitur studierte Jörg Hartmann in Stuttgart an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. Nach Engagements am Staatstheater Meiningen und am Nationaltheater Mannheim gehörte er von 1999 bis 2009 fest zum Ensemble der Berliner Schaubühne, wo er seit 2016 als Gast wieder regelmäßig zu sehen ist. Seit 1999 arbeitet er auch für Fernsehen und Kino. Einem breiten Publikum wurde er als Stasi-Offizier Falk Kupfer in der Serie „Weissensee“ bekannt, außerdem durch Rollen im Mehrteiler „Die Wölfe“ und in der Serie „Homeland“. In „Bella Block“ spielte er erstmals einen Kommissar, seit 2012 ermittelt er in Dortmund als „Tatort“-Kommissar Peter Faber. Für sein eindringliches Spiel erhielt er unter anderem den Deutschen Fernsehpreis, die Goldene Kamera und den Grimme-Preis. Hartmann hat drei Kinder, lebt in Potsdam, interessiert sich für Architektur und neuerdings auch für Fußball.

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