Jagoda Marinić

Jagoda Marinić

„Ich glaube nicht an eine schmerzfreie Welt.“

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  • Lena Giovanazzi
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Zur Person

29. August 2022, Berlin/Kroatien. Das Gespräch mit der Schriftstellerin, Essayistin und Kolumnistin Jagoda Marinić findet telefonisch statt. Sie befindet sich gerade in Kroatien, dem Herkunftsland ihrer Eltern, wo sie für ihren neuen Roman recherchiert. Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte, die im kommenden Jahr erscheinen soll. Marini? zählt allerdings nicht zu den Menschen, mit denen es sich nur zu sprechen lohnt, wenn sie gerade ein PR-Anliegen haben. Unter anderem in ihrer „Stern“-Kolumne beweist sie regelmäßig, wie scharfsichtig und klug sie auf alle erdenklichen gesellschaftlichen Entwicklungen blickt. Es wird ein langes, lebendiges Gespräch über die Verirrungen unserer Zeit – und die Rolle der Literatur dabei.

Jagoda Marinić, in welche Richtung bewegen wir uns als Gesellschaft im Moment – vor oder zurück?

Ich bin nicht sicher, ob solche Bewegungen linear stattfinden oder eher kreisförmig. Wir erleben jedenfalls eine Phase, in der wir manches, das wir in unserer Zeit und für unsere Zeit erkämpft und für selbstverständlich gehalten haben, nicht mehr schärfen und auch nicht mehr schätzen können. Ich will nicht kulturpessimistisch klingen, aber ich fürchte, dass wir uns insgesamt destabilisieren.

Welche Schärfung ist es, die da fehlt?

Ein Punkt ist, dass wir zu Kategorien wie Fiktion, Literatur, Kunst ein Stück weit den Bezug verloren haben. Als wären wir durch die Ablenkungs- und Unterhaltungsindustrie in ein formloses allgemeines Geschrei geraten. Das soll sich nicht biblisch oder nach babylonischem Gewirr anhören, aber mein Gefühl ist: Gerade krakeelen alle herum, und man weiß gar nicht mehr, wo man hinhören soll – und wie aus dem Geschrei so etwas wie eine Bewegung nach vorne entstehen könnte. Wenn man nicht an der Zukunft arbeitet, holt sich die Vergangenheit die Gegenwart zurück. Daran glaube ich.

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