Gerald Hüther

Gerald Hüther

„Wir haben uns daran gewöhnt, einander als Objekte wahrzunehmen.“

Fotos
  • Erik Weiss
Leserbewertung

Zur Person

07.09.2015, Berlin. Gerald Hüther ist aus Göttingen zu einem Kongress angereist. Er ist gerade aus dem Zug ausgestiegen und kommt an den Info-Point, wo man sich verabredet hat. Rund um den Hauptbahnhof gibt es mehr Fast-Food-Buden als gemütliche Cafés, trotzdem findet sich eis, in dem es sich in Ruhe sitzen und sprechen lässt. Der Neurobiologe wirkt, als hätte er nur wenig geschlafen und viel gearbeitet. Er kündigt an, dass er zwischendurch vor die Tür möchte, um einen Zigarillo zu rauchen. Im Gespräch erweist er sich als ruhiger Analyst gesellschaftlicher Entwicklungen und Ideengeber für Veränderungsprozesse. Angenehm: Hüther ist engagiert, aber kein Visionär, der unbedingt überzeugen will.

Herr Hüther, wer das Wort Krise bei Google eingibt, landet aktuell bei über 21.400.000 Treffern. Konkrete Beispiele sind die Eurokrise, die Finanzkrise, die Flüchtlingskrise und die Griechenland-Krise. Zu den globalen Nöten addieren sich die persönlichen Probleme, etwa im Job oder in der Familie. Mit anderen Worten: Es läuft verdammt viel schief. Sie gehören zu denen, die das nicht hinnehmen wollen.

Gerald Hüther: Niemand muss das hinnehmen. Unsere Probleme verschwinden nicht von alleine. Die werden sogar immer größer und zahlreicher, wenn wir uns nicht entschließen, sie lösen zu wollen. Wollen wir es anders machen, müssen wir uns aber erst einmal anschauen, wie wir dorthin gekommen sind, wo wir uns heute befinden. Die Hoffnung, dass der Mensch durch den Einsatz von Wissenschaft und Technik in der Lage sei, Hunger, Not und Krankheit zu überwinden, und eine friedliche Welt zu gestalten, hat sich beispielsweise nicht erfüllt. Vielmehr haben die Denkmuster, von denen wir uns haben leiten lassen, die Probleme geschaffen und verstärkt. Durch die Kommunikationsmedien bekommen wir zudem tagtäglich vorgeführt, wo es auf diesem Planeten überall brennt. Es nimmt kein Ende. Um aus dieser Spirale heraus zu kommen, müssten wir in der Lage sein, umzudenken. Albert Einstein hat es so formuliert: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Insofern stehen wir an einem Wendepunkt.

Welches Denkmuster hat sich besonders stark zu unserem Nachteil verfestigt?

Es hat sich die Idee durchgesetzt, dass Konkurrenz die Triebfeder jeder Weiterentwicklung ist. Und so bestärken wir uns seit einigen Generationen gegenseitig darin, dass man besser vorankommt, wenn man sich aus allen Verbundenheiten löst und rücksichtslos seine eigenen Ziele verfolgt. Nach dem Motto, jeder sei seines Glückes Schmied und alles sei machbar. Die Überzeugung, andere aus dem Feld schlagen zu müssen, um selbst zu bestehen, ist natürlich eine Möglichkeit. Aber kann es in Zukunft wirklich darum gehen, sich als egoistischer Einzelkämpfer durchzuschlagen? Langsam sollte man sich fragen, wie weit man damit tatsächlich kommt. Was der einzelne zu leisten vermag, ist immer weniger als was viele vermögen. Versuchen Sie mal, alleine Fußball zu spielen.

Ab hier lesen nur GALORE-Abonnenten kostenlos weiter! Eines der vielen Abo-Extras.