Ersin Karabulut

Ersin Karabulut

„Ich möchte die Leute warnen.“

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31. Oktober 2023, Paris. Ersin Karabulut sitzt in seiner Wohnung und schaut aufmerksam in die Kamera. Durch das Fenster hinter ihm fällt helles Licht. An das Herbstwetter in Frankreich müsse er sich noch gewöhnen, sagt er. Es sei ihm zu kalt, aber immerhin friere er jetzt nicht so sehr wie noch im Januar und Februar. Die Zoom-Verbindung hakt manchmal, dennoch verläuft das rund 60-minütige Gespräch so flüssig, als sitze man sich in einem Café gegenüber. Was bedeutet es, in der Türkei der 1980er und 1990er aufzuwachsen und trotz erheblicher Widerstände eine Karriere als satirischer Comic-Zeichner anzustreben? In seiner autobiografischen Graphic Novel „Das Tagebuch der Unruhe“ schildert Karabulut diesen Werdegang. Die politische Entwicklung in der Türkei bereitet dem Zeichner große Sorgen; die Hoffnung verlieren will er jedoch nicht.

Ersin Karabulut, was macht Ihnen beim Zeichnen von Comics am meisten Spaß? Und was am wenigsten?

Ich zeichne ungern Autos oder große Gebäude wie etwa Shopping Malls, weil ich das Gefühl habe, dafür nicht gut genug zu sein. Deadlines bereiten mir auch oft Probleme. Aber es gibt etwas, das ich absolut magisch finde: Wenn man in einer Folge von, sagen wir, fünf Bildern eine Handlung darstellen will, muss man genau überlegen, welche Momente dieser Handlung man herausgreift. Die Möglichkeiten sind zahlreich, und es kommt darauf an, die besten und wichtigsten zu finden. Es kann einen riesigen Unterschied machen, ob man etwas zeigt, das eine Sekunde früher oder später passiert. Wie kann ich das, was ich erzählen will, am besten erzählen? Wie entsteht bei der Lektüre ein Flow? Wie aktiviere ich das Gehirn der Leserinnen und Leser so, dass sie das, was ich nicht zeige, in ihrer Vorstellung ergänzen können? Das ist wie ein Puzzlespiel. Ich muss die Teile finden, die zusammenpassen, und das macht mir sehr großen Spaß.

In „Das Tagebuch der Unruhe“ schildern Sie Ihre Kindheit und Jugend im Istanbul der 1980er und 1990er, Ihre Anfänge als Zeichner sowie den unaufhaltsamen Aufstieg Erdogans. Wie sind Sie darauf gekommen, eine autobiografische Graphic Novel zu machen?

In den türkischen Satire-Magazinen habe ich bereits autobiografische Comics veröffentlicht. Ich wusste also, wie so etwas geht, und musste wöchentlich abliefern. Aber diese Comics waren zwangsläufig sehr kurz. Ich wollte gerne ausführlicher und in größerem Zusammenhang von mir erzählen. Hinzu kommt, dass ich auf den Comic-Festivals, die ich seit meinem Umzug nach Frankreich besucht habe, sehr oft gefragt wurde, wie es sei, als Cartoonist in der Türkei zu leben und zu arbeiten. „Das Tagebuch der Unruhe“ gibt darauf eine Antwort. Und zwar eine persönliche. Ich wollte meine eigenen Erlebnisse und Beobachtungen mitteilen, keinen didaktischen Sachcomic machen.

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