
Don Winslow
„In den USA ist es einfacher, eine Waffe zu kaufen, als eine Katze zu adoptieren.“
Zur Person
Einundzwanzig Bestseller gehen auf das Konto des 1953 in New York geborenen Don Winslow, der an der Küste von Rhode Island in einer Zeit aufwuchs, in der die Mafia ganz selbstverständlich das Stadtbild bestimmte und persönliche Begegnungen mit adoleszenten Mobstern für den Jungen zum Alltag gehörten. Die Thriller und Krimis des Autors, der seine Karriere derzeit langsam zugunsten des politischen Kampfes beendet, fußen auf einem Leben, in dem Winslow auch als Privatdetektiv, Safarileiter in Kenia, Anti-Terror-Ausbilder und Prozesssachverständiger arbeitete. In der Trilogie „Tage der Toten“ (2005), „Das Kartell“ (2015) und „Jahre des Jägers“ (2019) verarbeitet er die Drogenkriege; allein für „Tage der Toten“ recherchierte er sechs Jahre lang. Der Roman „Zeit des Zorns“ („Savages“, 2010) wurde von Oliver Stone verfilmt. Trotz zahlreicher Koyoten und anderer wilder Tiere besitzt Winslow auch auf seiner Ranch keine Waffen, da sie ihn „nervös“ machen mit der potenziellen Möglichkeit, aus Versehen „ein Leben in Sekundenschnelle beenden zu können“. Solange er noch Romane schreibt, startet sein Arbeitstag mit den ersten Worten um 5:30 Uhr und erstreckt sich bis in den frühen Nachmittag.
26. April 2023, San Diego. Das Bild im Zoom-Rahmen ist hervorragend ausgeleuchtet. Ein Fenster hinter Don Winslow offenbart eine abgetrennte Bibliothek. Rechts ragt eine Klimmzugstange über der Tür ins Bild. Der Autor von mehr als drei Dutzend Bestsellern, der seine Karriere mit der aktuellen Romantrilogie beenden wird, um sich in Vollzeit dem politischen Aktivismus zu widmen, ist müde. Er hat eine Reise von der Ostküste in den Knochen und heute bereits zahlreiche Interviews geführt. Unseres wird nicht das letzte sein. „Machen Sie ruhig weiter“, sagt er, „alles ist okay, solange der Kaffee nicht versiegt.“. Hin und wieder legt Winslow den Kopf auf die Hand. Nicht, um ihn abzustützen, sondern um frische Gedanken aus der Schläfe zu kitzeln. Die Katze auf dem Tisch des deutschen Journalisten amüsiert ihn, regt aber vor allem eine Anekdote an, die mehr über sein Land aussagt als so manche wissenschaftliche Abhandlung.
Don Winslow, nehmen wir an, Sie sollen eine Szene verfassen, die sinnbildlich die Lage in Ihrem Heimatland zeigt. Was würde geschehen? Welche Charaktere träten auf?
Schwierige Frage, denn die Vereinigten Staaten sind so groß, so vielfältig und derzeit, es liest sich schon wie ein Klischee, so gespalten. Ich würde wahrscheinlich irgendwo im Nordosten beginnen, in einer kleineren Stadt, mit einer Familie aus der Arbeiterklasse, die irgendwie versucht, über die Runden zu kommen. Ich starte immer gerne in einem Moment, der profan ist. Alltäglich. Jemand macht sich eine Tasse Kaffee, geht duschen. Etwas, mit dem sich jeder Leser identifizieren kann. Um in die Szene zu kommen, in die Person, ihren Kopf, ihre Gedanken und schließlich ihre Handlungen.
Was finden wir im Kopf dieser gerade improvisierten Person vor?
Sie macht sich Sorgen darüber, wie sie die Miete bezahlen soll, die Rechnungen begleichen. Sie fährt zur Arbeit, falls sie überhaupt noch eine hat.