
Corinna Harfouch
„Ich kann nicht verurteilen.“
Zur Person
Corinna Harfouch (geboren am 16. Oktober 1954 in Suhl) spielte bereits während der Schulzeit Theater, lernte den Beruf der Krankenschwester, wurde beim ersten Anlauf an der Schauspielschule abgelehnt, studierte drei Jahre Textiltechnik und bekam 1978 schließlich doch einen Platz an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin-Schöneweide. Es begann eine beispiellose Karriere auf Theaterbühnen und vor Filmkameras, in deren Verlauf sie u.a. mit Heiner Müller, Stephan Suschke, Frank Castorf, Jürgen Gosch oder Yasmina Reza am Theater oder mit Roland Gräf, Margarethe von Trotta, Matthias Glasner, Bernd Eichinger, Caroline Link, Tom Tykwer sowie dem 2020 verstorbenen Michael Gwisdek beim Film arbeitete. Sämtliche relevanten Film-, Fernseh- und Theaterpreise hat sie sich erspielt. Ende 2022 wird die Schauspielerin die neue Kommissarin des Berliner Tatorts. Corinna Harfouch lebt in einem Dorf in Brandenburg.
25. März 2022, Groß Schönebeck. Corinna Harfouch telefoniert am Festnetz aus ihrem Haus auf dem Land in Brandenburg. Ihr Film „Alles in bester Ordnung“ wird zum Anlass für ein Gespräch darüber, wie das Leben im Allgemeinen in den Griff zu kriegen ist und was Menschen alles anstellen, um sich weniger hilflos zu fühlen. Das Interview nimmt zahllose Wege, die in der späteren Heftfassung keinen Platz finden können, vom japanischen Tee und der persönlichen Kanne, die ihren Weg in den Film fand, bis zu der kindlichen Gewohnheit, mit den Dingen, die auf dem Küchentisch herumstehen, einfach ein kleines Stück zu spielen. Ihr Blick fällt während des Telefonierens auf einen See, an dessen Ufer der letzte Sturm einige Bäume umgeknickt hat.
Corinna Harfouch, ein Schlüsselsatz aus dem Mund Ihres Filmcharakters Marlen lautet: „Ich habe Mitleid mit den Dingen.“ Kennen Sie diese Empfindung auch?
Nicht so intensiv wie Marlen. Natürlich wachsen einem viele Dinge ans Herz, die einen umgeben und mit denen man lebt. Ich bin allerdings auch jemand, der viel weggibt, denn mich treibt eher die umgekehrte Angst: zuzuwachsen. Das kann die Liebe zu den Dingen schließlich schnell bewirken. Während wir sprechen, sehe ich mich gerade im eigenen Haus um... auf dem Sofa zum Beispiel finden sich Puppen, Äffchen, ein Faultier, ein Kissen, eine Decke, ein Troddelding, ein Hamster und ein Fuchs. Ich weiß nicht, wie das kommt, irgendwie haben sie sich alle dorthin aufgemacht. Oder jetzt stehe ich gerade vor einem kleinen Pferd, auf dem ich mal in Stuttgart „Don Quijote“ gespielt habe. Es ist mir sehr ans Herz gewachsen, und meine Enkelkinder lieben es, darauf zu sitzen. Selbst dann, wenn man viel weggibt und vorsichtig bleibt, wird ohnehin alles voll.
Haben Sie persönlich Menschen kennengelernt, bei denen es krankhaft geworden ist?
Ich habe die Wohnungen von zwei verstorbenen Großtanten ausgeräumt. Ein Wahnsinn. Leute, die zwei Kriege miterlebt und gesammelt haben, die alles für nützlich hielten, was man auf der Straße findet. Eine hatte in ihrer Wohnung in Merseburg die Dinge bis an die Decke gestapelt. Von ihrem Sofa, das ebenfalls schon halb bedeckt war, blieb lediglich ein enger Gang hin zum Herd. Als man endlich eine Art von Übersicht über die Türme aus Dingen gewonnen hatte, tat sich genau wie im Film auf einmal eine dritte Tür auf, dahinter erneut viele, viele Dinge und in ihnen, zwischen ihnen, längst schon entwertete Geldbündel. Uns hatte diese Großtante damals hin und wieder Holzleisten zu Weihnachten geschickt und einen einzelnen Bärenfuß, der irgendwann einmal an einem Gründerzeittisch dran gewesen sein muss. Mir macht das eher Angst, aber es passiert immer wieder, sehr häufig, überall.