
Anke Domscheit-Berg
„Unschuldige Informationen gibt es nicht.“
Zur Person
Anke Domscheit-Berg (Jahrgang 1968) ist Landesvorsitzende der Piraten in Brandenburg und Kandidatin bei der kommenden Europawahl. Zur Piratenpartei wechselte sie 2012; zuvor war sie Mitglied bei den Grünen. Domscheit-Berg engagiert sich beruflich und ehrenamtlich als Feministin und für die Open Government-Bewegung – genug Stoff für ihr autobiografisch geprägtes Buch „Mauern einreißen“ (2014). Die Aktivistin und Autorin wuchs in der DDR auf und erlebte den Mauerfall als in der Opposition aktive Kunststudentin mit 21 Jahren. Nach der Wende studierte sie Internationale Betriebswirtschaftslehre. Nach mehr als zehn Jahren als Unternehmensberaterin mit IT-Schwerpunkt bei Accenture und McKinsey wechselte sie 2008 zu Microsoft. 2011 machte sie sich selbständig. Zusammen mit ihrem Mann Daniel Domscheit-Berg und ihrem Sohn lebt sie in Fürstenberg an der Havel.
25.02.2014, Fürstenberg/Havel. Anke Domscheit-Berg hat nichts gegen Lobbyisten. Die Unternehmerin und ehemalige Microsoft-Managerin findet Interessenvertretung normal. Doch für die Piratenpartei kämpft sie dafür, dass Politiker offenlegen, wen sie beruflich treffen, und will gleichzeitig private Daten geschützt sehen. Wie das gehen soll? Im ausführlichen Telefongespräch erklärt sie den Unterschied zwischen „gläsernem Staat“ und „gläsernem Bürger“, wie Shitstorms die Gesellschaft weiterbringen und warum man NSA-Methoden mit Stasi-Methoden vergleichen darf.
Frau Domscheit-Berg, die Friedrich-Ebert-Stiftung hat die Piraten einmal als ein „Atomwaffentestgelände der Demokratieforschung“ bezeichnet. Ist da etwas dran?
Anke Domscheit-Berg: Ich glaube, ich würde „Atomwaffen“ weglassen. Aber wir sind ganz bestimmt ein Versuchslabor für eine digitale Demokratie, in der Dinge anders funktionieren, mit mehr direkter Demokratie, mehr Basisdemokratie, auch mit viel mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit, und das unter dem Einsatz von Informationstechnologie, die internetbasiert ist. Auch innerhalb der Partei. Wir verwenden zum Beispiel bestimmte Abstimmungsmechanismen, schließen uns mit Hilfe einer Software über das Internet in Audio-Konferenzen zusammen, wo man nebenbei chatten und Links teilen kann, und wir benutzen sehr oft so genannte ‚Piratenpads‘, mit denen man gemeinsam Dokumente erarbeiten kann.
Dann ziehen Sie doch mal eine Laborexperiment-Zwischenbilanz: Was funktioniert, was nicht?
Wir sehen einerseits die Potenziale, die das haben kann: Wie toll es ist, gemeinsam mit einer großen, breiten Masse arbeiten zu können. Wir sehen aber auch, wie kompliziert und schwierig das ist, weil Menschen Menschen sind. Denn das Zwischenmenschliche macht internetbasierte Basisdemokratie bei einer großen Anzahl von Menschen sehr, sehr schwierig. Das kann man etwa auf Twitter sehen: Wie schnell es zu Eskalation kommt, wie Emotionen hochgeschaukelt werden, wie Missverständnisse gepflegt werden. All das sieht man in unserer innerparteilichen Diskussion wie durch ein Brennglas, aber es ist eigentlich eine Problematik, die die ganze digitale Gesellschaft hat.