André Wiersig

Februar 2020 / Seite 3 von 3

Gab es Momente, in denen Sie ans Aufgeben dachten – oder sich zumindest gefragt haben: Was zum Teufel mach ich hier eigentlich?

Klar. Stundenlang. Der Gedanke ans Aufgeben war allgegenwärtig. Und es ist auch gut, ihn als Option zuzulassen. Die hohe Kunst ist, dann trotzdem weiterzumachen. Nicht dem ersten Drang nachzugeben. Sie haben sich ja heute Morgen auch dazu entschieden, aufzustehen, obwohl Sie vermutlich nicht ausgeschlafen waren. Sie hätten auch „aufgeben“ und im Bett liegen bleiben können.

Meine Alternative war aber nicht, fast zehn Stunden in Badehose durch den Ärmelkanal zu schwimmen.

Aber das spielt doch keine Rolle! Beides hat mit einem Willen zu tun, mit einer bewussten Entscheidung: Aufstehen – oder eben weitermachen –, auch wenn es anders einfacher wäre. Wir stehen im Leben häufig vor solchen Entscheidungen, zum Beispiel, sich nicht von seinem Partner oder seiner Partnerin zu trennen, obwohl es auch mal schwierig ist – und stattdessen daran zu arbeiten, dass es wieder funktioniert. Was in unserer Gesellschaft häufig fehlt, ist die Haltung, selbstbestimmt durchs Leben zu gehen, statt sich selbst als arme Sau zu sehen, die immer alles ertragen muss. Mich hat ja niemand gezwungen, diese sieben Meerengen zu durchschwimmen. Im Gegenteil. Von Freunden, Familie und anderen Leuten gab es auch Kritik.

Was bekamen Sie zu hören?

Mir wurde eine Midlife-Crisis angedichtet, oder es wurde gefragt, was ich mir damit wohl beweisen wolle. Oft projizieren die Leute diese Situation auch direkt auf sich selbst: Du hältst ihnen einen Spiegel ihres eigenen Lebens vor – und damit kommen sie nicht klar. Weil sie eigentlich auch mal selbst ein Abenteuer erleben wollen, eine Sache mit absoluter Leidenschaft und Konsequenz angehen wollen. Der Unterschied ist: Ich habe es gemacht – und sie nicht. Das macht sie nicht zu schlechteren Menschen, aber sie selbst wurmt es trotzdem.

Bevor Sie den Santa-Catalina-Kanal in Kalifornien durchschwommen haben, trafen Sie Steven Munatones, den Schöpfer der „Ocean’s Seven“. Wie erinnern Sie sich an diese Begegnung?

Steven ist ein großartiger Typ, offen und herzlich. Wie ich überhaupt in dieser Szene der Freischwimmer nur auf tolle Menschen gestoßen bin. Das sind Menschen, die echt sind, authentisch, ohne großes Palaver. Häufig spricht man nicht einmal die Sprache der Skipper in den Beibooten, aber man baut trotzdem eine Wahnsinnsverbindung zu ihnen auf. Weil man sich gegenseitig vertraut. Er will ja kein Todeskapitän sein – und du verlässt dich blind darauf, dass er richtig navigiert. Gute Freundschaften und tiefe Verbindungen verlangen nicht danach, dass man dreimal die Woche telefoniert und sich dauernd sieht.

Sind Sie vor Ihrer letzten Durchquerung, der Straße von Gibraltar am 9. Juni 2019, mit einem anderen Gefühl ins Wasser gestiegen als bei den anderen Strecken?

Ja. Ich wusste ja, dass es die letzte Station war. Der Abschluss einer jahrelangen Reise. Als ich fast fünf Jahre nach dem Durchqueren des Ärmelkanals in Gibraltar angeschlagen habe, war das ein magischer Moment. Aber auch ein bittersüßer, denn ich merkte, dass dieses Projekt, das mich so viel Energie, Zeit und Geld gekostet hat, nun zu Ende war. Einerseits habe ich das jahrelang herbeigesehnt, andererseits tat es mir fast leid, als ich in Afrika ankam. Spürten Sie ein Gefühl der Leere? Nein. Ganz im Gegenteil. Das klingt bis heute nach. Ich fühle mich oft, als wäre ich immer noch da draußen. Auf eine gute Art. Nicht so, als wäre ich getrieben oder gehetzt. Ich bin oft in meinen Gedanken immer noch im Ozean. Und das ist schön.

„13 Grad kaltes Wasser? Da würden die meisten nicht einmal für 10.000 Euro reingehen.“

Mit welchem Gefühl gehen Sie heute schwimmen?

Ich bin viel näher dran. Das war aber schon in den letzten drei Jahren so. Als würde ich zu einem alten Freund zurückkehren, in mein Zuhause.

Bislang haben weltweit erst 17 Personen die „Ocean’s Seven“ gemeistert. Sie sind nicht nur der erste Deutsche, dem das gelang, sondern auch der erste, der alle Strecken im ersten Versuch schaffte. Was haben Sie anders gemacht?

Keine Ahnung, zumal die Bedingungen bei mir fürchterlich waren. Ich habe ich mich vorher immer auf diesen „Worst Case“ vorbereitet und die Dinge so angenommen, wie sie auf mich zukamen. Ich bin immer mit reinem Herzen angetreten. Und hätte ich die Durchquerungen nicht geschafft, wäre ich genauso erfüllt gewesen. Und es wird Nachfolgerinnen und Nachfolger geben: Die deutsche Nathalie Pohl war vergangene Woche das zweite Mal an der Cook-Straße, sie ist erst 25 Jahre alt, schwimmt großartig und nimmt die „Ocean’s Seven“ ins Visier. Das hätte ich in diesem Alter niemals hinbekommen.

Gibt es einen Moment aus diesen Schwimmabenteuern, der Ihre Sicht auf die Welt nachhaltig verändert hat?

Die schönsten Momente sind die, in denen du kurz glaubst, irgendwie dazuzugehören und angekommen zu sein. Das ist natürlich ein Trugschluss: Wir Menschen gehören nicht in diese Umgebung. Aber hin und wieder hatte ich für einen Augenblick trotzdem genau dieses Gefühl. Ich habe auch mit dem Ozean kommuniziert.

Im Ernst?

Ja, aber natürlich nicht so, wie wir beide jetzt sprechen. Du hast diese einmalige Perspektive eines Menschen, der für ein paar Stunden Teil dieses Meeres ist, und empfängst ständig Signale. Es ist ein Unterschied, ob ich vom Klimawandel lese, mit einer Tasse Kaffee in der Hand auf einem Kreuzfahrtschiff sitzend und dem Meer als Kulisse. Oder ob ich mittendrin bin und alles ungefiltert mitbekomme. Dann reagierst du auf die kleinsten Berührungen. Und selbstverständlich gibt es auch wunderschöne Begegnungen.

Zum Beispiel?

Beim Training auf Mallorca schwamm ich im Mittelmeer und sah einen Schwarm Barracudas. Die Jungs, fünf oder sechs von ihnen, waren die ganze Zeit hinter mir und haben, wenn ich anhielt, auch angehalten. Irgendwann scheuchte ich einige andere Fische auf, die dann wiederum von den Barracudas gejagt wurden. In solchen Momenten gehörst du einfach dazu. Das ist vollkommen irre. Was ich noch gelernt habe: Mir wurde klar, dass wir die Erde überhaupt nicht retten können. Die Erde rettet sich selbst. So oder so. Die Frage ist, ob wir in diesem Plan irgendeine Rolle spielen. Wir Menschen sind mehr oder minder geduldet und völlig unwichtig für diesen Planeten. Der Ozean kennt keine Grenzen. Ob das jetzt die Küste von Libyen ist oder von Argentinien, ist diesem riesigen Organismus vollkommen egal. Der sitzt das einfach aus, und er wird noch da sein, wenn wir längst von der Bildfläche verschwunden sind.

Sie sind auch Botschafter der Deutschen Meeresstiftung. Wie genau kann Ihr Projekt zum Schutz der Meere beitragen?

Indem ich aus dieser besonderen Perspektive berichte, die nur wenige Menschen haben, und damit ein Bewusstsein schaffe. Die Leute identifizieren sich eher mit persönlichen Geschichten. Und der Mensch braucht den ständigen Input. Das zeigt ja auch die Werbung. Vor vielen Jahren traf ich den CEO von Coca-Cola und fragte ihn: „Warum investieren Sie Abermillionen Dollar in Ihr Marketing, wenn gefühlt jeder Mensch auf der Welt Coca-Cola schon kennt?“ Er antwortete: „Wir müssen aber immer wieder diese Botschaft in die Köpfe der Leute prügeln, damit das so bleibt, dass Leuten, die richtig Durst haben, vor ihren Augen eine eisgekühlte Coca-Cola-Flasche erscheint!“ Mit dem Umweltschutz ist das genauso: Wenn wir jetzt mit derartigen Kampagnen aufhören, würde das Bewusstsein dafür nach ein paar Jahren verschwinden.

Zur Person

André Wiersig (geboren am 20.05.1972 in Bochum) ist ein ehemaliger Bahnradfahrer, Triathlet und heutiger Marathonschwimmer. Mit elf Jahren wurde er Mitglied in einem Schwimmverein, trat als Jugendlicher im Triathlon über die Olympia- und später über die Iron-Man-Distanz an. Wiersig absolvierte eine Ausbildung zum Einkaufsassistenten und begann 1995 ein BWL-Studium an der Universität Paderborn. Während eines Praktikums startete er direkt ins Berufsleben und arbeitet heute als Vertriebschef für ein SAP-Beratungshaus in der IT-Branche. Wiersig lebt mit seiner Familie in Paderborn.

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