Zeruya Shalev

Zeruya Shalev

„Ich war damals pessimistischer als jetzt.“

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19. Januar 2024, Haifa. Zeruya Shalev ist ausgesprochen gut gelaunt, dabei hat sie momentan eigentlich wenig Grund dazu. Seit den Terrorattacken vom 7. Oktober befindet sich Israel im Kriegszustand, für die pazifistisch engagierte Autorin ein Albtraum. Von ihrer Hoffnung lässt sie sich deswegen nicht abbringen. Im Interview anlässlich der ersten deutschen Übersetzung ihres Debütromans spricht die Schriftstellerin über weibliche Solidarität im Nahen Osten, über das Glück der kleinen Dinge und erklärt, warum es eigentlich ein Schulfach namens Liebe geben sollte.

Zeruya Shalev, Ihr Debütroman „Nicht ich“ erscheint gerade zum ersten Mal auf Deutsch. Als das Buch vor 30 Jahren ursprünglich veröffentlicht wurde, hat es in Israel einen kleinen Skandal ausgelöst. Was war damals los?

Vor allem war die Atmosphäre im Land damals eine ganz andere, weniger offene. Explizit über Mutterschaft zu sprechen, so wie ich es in dem Buch tat, war unerwünscht. Das galt als provokant, denn bei Themen wie Sex oder der Rolle der Frau in der Familie waren die Menschen in Israel damals wesentlich konservativer. Meine Hauptfigur kam bei der Kritik nicht gut an, und auch die Öffentlichkeit war irritiert. Da lag viel Aggressivität in der Luft und es gab eine Menge moralische Entrüstung. Dazu kam, dass viele Leser wohl eine zusammenhängende Story mit einer klareren Handlung statt eines surrealistischen Monologs erwartet hatten. Sie wollten einen Israel-Roman, also einen, der sich mit der Situation im Land beschäftigt. Ein Buch über eine Frau, die sehr frei von ihren persönlichen Schwierigkeiten mit den ihr auferlegten Rollen erzählt, war dagegen fast schon tabu.

Gleichzeitig hatten Sie damit früh eines Ihrer Themen gefunden. Verspüren Sie heute Genugtuung?

Genugtuung ist nicht das richtige Wort, aber ich bin froh, dass das Buch nun ein zweites Leben bekommt. Rückblickend habe ich das Gefühl, dass ich diese unangenehme Erfahrung machen musste, um reifer und weniger verletzlich zu werden. Damals haben mir die Reaktionen auf den Roman so wehgetan, dass ich zwei Jahre lang nicht schreiben konnte. Doch dadurch habe ich auch an Perspektive gewonnen, sowohl in Bezug auf das echte Leben als auch auf das literarische. Als Autorin lernt man Erfolge und Misserfolge kennen. Die Hauptsache ist, dass man nicht aufgibt.

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