
Wolfgang Hoffmann
„Die Fallzahlen werden sich in den nächsten dreißig Jahren verdoppeln.“
Zur Person
Als approbierter Arzt und in der School of Public Health der Universität von North Carolina 1995 zum Epidemiologen geformt, kümmert sich Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann heute in der translationalen Forschung darum, neue Versorgungsmodelle zu entwickeln und in die Praxis der Routineversorgung zu überführen. Seit 2012 arbeitet er als W3-Professor für bevölkerungsbezogene Versorgungsepidemiologie und Community Health an der Universitätsmedizin in Greifswald und ist Sprecher des Standortes Rostock/Greifswald des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). 2017 wurde er zudem Leiter der Zentralstelle des Krebsregisters Mecklenburg-Vorpommern. Seine Arbeit wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter mehrfach dem Hufeland-Preis. In seiner Freizeit restauriert er derzeit ein 120 Jahre altes Haus in einer Kleinstadt an der Peene, gemeinsam mit seiner Partnerin, die ebenso wie er drei Kinder mit in die Beziehung brachte.
22. Juni 2022, Greifswald. Wolfgang Hoffmann hat einen Filter eingeschaltet, doch im milchig-verschwommenen Hintergrund erahnt man Menschen, die im Sonnenlicht über den Campus der Universitätsklinik laufen. Für das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) ist er als Experte für die Versorgung von Menschen mit Demenz tätig, an der Universitätsmedizin Greifswald als Forscher im Bereich des Gesundheitssystems. So kommt es, dass das Gespräch zwar mit der Diagnostik der Demenz beginnt, sich aber zur Diagnostik der medizinischen Infrastruktur und sogar des Umgangs mit der Pandemie ausweitet. Sämtliche Phänomene seziert der Epidemiologe dabei in so ruhiger und sanfter Sprechweise, dass die berghohen Probleme wie erklimmbare Hügel erscheinen.
Wolfgang Hoffmann, viele Menschen kennen Situationen, in denen sie im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht. Dinge werden vergessen oder verlegt, Namen zu Gesichtern verschwinden. Woran erkenne ich den Unterschied zwischen normaler Vergesslichkeit und einer sich langsam anbahnenden Demenz?
Etwas zu verlegen oder sich mal zu verlaufen, ist nichts Ungewöhnliches und kommt in jedem Alter vor. Natürlich ist die Demenz mit Vergesslichkeit verbunden, aber im Unterschied zur normalen Vergesslichkeit ist die Demenz eine fortschreitende Krankheit, die ernsthafte Einschränkungen im Alltagsleben mit sich bringt, bei denen eine klare Tendenz zur Verschlimmerung zu beobachten ist. Wenn ich mein Leben selbstständig organisiere und alle Alltagsaktivitäten gut funktionieren, habe ich ziemlich sicher keine Demenz.
Eine sehr pragmatische Sicht. Gibt es keine harten, wissenschaftlichen Tests?
Die gibt es, doch sie sind sehr aufwendig, dauern eine Weile und müssen von Experten durchgeführt werden, da Demenz in den frühen Stadien nicht so leicht zu diagnostizieren ist. In späteren Stadien kennen wir alle die Verläufe, doch sogar dann sind Angehörige häufig noch der Meinung, es handle sich nicht um Demenz. Die Diagnose zu vermeiden oder sogar zu verhindern führt aber dazu, dass Betroffenen die optimale Behandlung und Versorgung vorenthalten wird. Eine frühe Diagnose ist daher für alle Beteiligten das Beste. Die große Mehrheit der Patienten selbst wünscht sich das auch.