Gratis-Interview Thomas Middelhoff

Thomas Middelhoff

„Man kann nicht Unsummen verdienen und menschliche Wärme erwarten.“

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10. Juli 2019, Hamburg. Während mein Gastgeber nebenan Kaffee zubereitet, fällt mein Blick auf ein großformatiges Foto, das gerahmt an der Wand in der Bibliothek von Thomas Middelhoff hängt. Eine Gruppe von rund 30 Menschen, überwiegend Männer, gekleidet leger mit Polohemden und khakifarbenen Hosen. Auf den ersten Blick denkt man an das Erinnerungsfoto von einem Klassentreffen. Dann liest man die Namen, die neben jeder Person stehen: Bill Gates, Steve Jobs, Jeff Bezos, Warren Buffett, Michael Bloomberg, Mark Zuckerberg – ein Treffen der mächtigsten und reichsten Wirtschaftslenker und Unternehmer der Welt. Auf einen Baumstumpf neben Jobs und Bezos hockt Thomas Middelhoff, der einzige Deutsche auf dem Gruppenbild. Es wirkt unwirklich, als dieser Mensch dann den Raum betritt und Kaffee serviert. Es entwickelt sich ein Gespräch um dieses Foto, um seinen beispiellosen Absturz und die Haft, über Macht und Gier, Schuld und Buße.

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Herr Dr. Middelhoff, was antworten Sie, wenn man Sie fragt, welchen Beruf Sie heute ausüben?

Autor und Vortragsreisender im Bereich Menschen und Kapital. Manchmal kommt es aber auch vor, dass ich ganz faul sage: Pensionär.

Viele denken, Sie seien vom Himmel in die Hölle gekommen. Sie nennen Ihr neues Buch genau umgekehrt: „Von der Hölle in den Himmel“. Warum?

Anfangs war es so, dass ich tatsächlich das Gefühl hatte, ich sei vom Himmel in die Hölle gefahren. Mit dieser Betrachtungsweise habe ich auch meine fünf Monate im Gefängnis verbracht. Danach setzte ein Bildungsprozess ein. Als ich aus der Haft entlassen wurde, erhielt ich eine Einladung der Universität Innsbruck zu einem Vortrag. Man schlug mir als Thema „Vom Himmel in die Hölle“ vor, was ich naheliegend fand. Aber je länger ich mich mit dem Vortrag beschäftigte, desto stärker habe ich mir die Frage gestellt: Ist das eigentlich wirklich die richtige Themenstellung, beschreibt das meine Entwicklung? Den Vortrag habe ich dann beendet mit der Feststellung, wahrscheinlich sei es in meinem Fall so, dass ich aus der Hölle in den Himmel gelangt sei – oder zumindest auf dem guten Weg dorthin sei.

Was war in Ihrem alten Leben himmlisch, was war höllisch?

Himmlisch waren die weltlichen Bedingungen. Großer Wohlstand war gegeben, die Frage der Finanzierung des Lebensunterhaltes war kein Thema. Es herrschte Überfluss an allen weltlichen Dingen, und es war himmlisch, mit meiner Familie zusammen zu sein, mit meinen fünf Kindern, mit meiner Frau. Auf der anderen Seite war es die Hölle, dass ich meine Gefühlswelt als leer empfunden habe. Im Nachhinein musste ich feststellen, dass ich Teile meines Charakters verloren hatte. Die Hölle war also auch, dass vieles, was mir als junger Mensch wichtig war, an Werten und an charakterlichen Elementen, nicht mehr da war.

Können Sie sich erklären, warum das so lange gedauert hat, bis es zu dieser Erkenntnis kam?

Ich hatte es mir ja sehr bequem und komfortabel gemacht in meinen himmlischen Bedingungen. Was fehlte, war der kritische Blick auf mich selbst sowie das Bewusstsein, dass ich mich in keine gute Richtung entwickelt hatte. Es gab auch vorher schon Einschnitte in meinem Leben, zum Beispiel als ich viel zu früh drei meiner Brüder verloren habe. Auch in diesen Momenten hätte man annehmen können, dass ein tiefergehender Prozess des Nachdenkens über mich selbst beginnt. Das passierte aber damals nicht. Ich habe über ziemlich extreme Firewalls verfügt. Erst durch diesen absoluten Lebensbruch mit Inhaftierung, Untersuchungshaft, Freiheitsentzug und noch viel stärker durch meine anschließende Arbeit als Freigänger zusammen mit Menschen mit Behinderung wurde der Erkenntnisprozess in Gang gesetzt.

Wie konnte es aus Ihrer Sicht zu Ihrem Absturz kommen?

Durch eigene Fehler. Wenn ein Mensch gescheitert ist, dann ist es naheliegend, dass er zunächst mal alles andere und alle anderen dafür verantwortlich macht. Es war die böse Bank, der Partner, der Anwalt oder sonst irgendjemand. Natürlich kann man auch eine schwere Kindheit ins Feld führen oder solche Dinge, aber ich bin da schonungslos zu mir selbst: Ich war gut unterwegs in meinem Leben, aber habe es dann unterlassen, die fürs Leben notwendigen Charakterelemente weiterzuentwickeln. Ich habe zudem damit angefangen, Verhaltensweisen von anderen Menschen zu kopieren, was nie so ganz gut ist.

Welche waren das?

Ich wurde zunehmend lauter und dominanter in meinem Auftreten, hatte einen höheren Anspruch für mich und meine Bedürfnisse in meinem Handeln, fokussierte mich mehr auf materielle Aspekte.

Ist diese selbstkritische Sicht Resultat eines aktuellen Erkenntnisprozesses? In Ihrem ersten Buch „A115 – Der Sturz“ befinden sich noch sehr viele Schuldzuweisungen.

Dieses erste Buch war im Prinzip eine Trauma-Verarbeitung. Das habe ich ja größtenteils geschrieben, als ich noch im Gefängnis war. Das zweite Buch ist jetzt eine Beschreibung der eigentlichen Ursachen meines Scheiterns. Und Sie haben recht, in dem ersten Buch klingt an einigen Stellen noch an, dass ich anderen die Schuld gebe. Das ist in dem zweiten Buch überhaupt nicht mehr der Fall.

„Wenn ein Mensch gescheitert ist, dann ist es naheliegend, dass er zunächst mal alles andere und alle anderen dafür verantwortlich macht.“

Was ist Ihnen nach dem Sturz geblieben?

Die erste erstaunliche Erkenntnis war, dass ich mir selbst geblieben bin. Also mein Innerstes, mein Ich, auch wenn sich dieses verändert hat. Klar gibt es darüber hinaus noch die alten Freunde und natürlich die Familie. Aber irgendwie scheint sich bei mir etwas verändert zu haben, weil ich heute viele vollkommen neue Menschen kennenlerne, die ich als Freunde bezeichnen würde. Ich begegne diesen Menschen mit einer großen Offenheit, und ich glaube, dass mir das hilft. Ich rede offen über die Tatsache, dass ich im Gefängnis gesessen habe, und sage auch offen, wie es dort war. Ich vergrabe das nicht. Auch nicht, warum ich diese Fehler gemacht habe.

Dieses Foto dort, auf dem die wirtschaftliche Weltelite versammelt ist, Steve Jobs ist dabei, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg, Michael Bloomberg. Sie sind ebenfalls auf diesem Bild. Vermissen Sie es, Teil dieser Runde zu sein, wenn Sie jetzt an Ihre neue Lebenssituation denken?

Nein, eigentlich gar nicht. Wenn ich mir das Bild heute anschaue, dann denke ich: Alle, die da versammelt sind, kennen das Scheitern in einer gewissen Form, alle haben es in Teilbereichen ihres Lebens selbst erlebt. Steve Jobs, Steve Case, Dick Parsons, selbst Michael Bloomberg ist schon mal gescheitert. Auf der anderen Seite gibt es keinen auf dem Bild, der das so komplett vor die Wand gefahren hat, wie es mir passiert ist. Deswegen macht mich das Bild nachdenklich, und deshalb hängt es hier. Denn so viel blöder als die anderen bin ich ja nicht. Hoffe ich jedenfalls. (lacht) Aber an irgendeiner Sache hat es mir eben doch gemangelt. Darüber nachzudenken, was das war, bringt mich weiter.

Ist denn die Motivation oder sogar die Gier verschwunden, zu diesem elitären Club dazuzugehören? Oder steckt in Ihnen immer noch ein bisschen der alte Thomas Middelhoff, wie wir ihn auf dem Foto sehen: „Big T.“?

Nein, diese Gier ist erloschen. Wobei es bemerkenswert ist, dass ich gerade bei den meisten Leuten auf diesem Foto weiterhin willkommen bin. Das ist wirklich erstaunlich, und dafür bin ich dankbar, denn zu dem Club gehöre ich nicht mehr. Das Interessante ist: Mir fehlt da nichts. Wobei ich schon weiß, dass nur jemand sagen kann, eine Jacht mache nicht glücklich, der schon einmal eine in seinem Besitz hatte.

Ganz am Boden waren Sie am 14. November 2014: Verurteilung, sofortige Inhaftierung wegen vermeintlicher Fluchtgefahr, Einzelzelle. „Rock bottom“ nennen die Amerikaner das. Wie fühlt es sich an?

Wie pure Verzweiflung in alle möglichen Richtungen. Und es ist ein Unterschied, ob Sie nach dem Urteil in Revision gehen können, und dann kommen Sie vielleicht eineinhalb oder zwei Jahre später, wenn Sie das alles durchlaufen haben, in Haft. Oder wie im Fall Uli Hoeneß: Sie verzichten auf die Revision, haben aber immer noch ein paar Monate, in denen Sie sich auf die Haft vorbereiten können. Bei mir war das anders. Ich kam von einer Sekunde auf die andere in Haft, völlig unvorhergesehen und unvorbereitet. Da ist die schiere Verzweiflung extrem. Vor allem deshalb, weil Sie direkt und sofort aus Ihrem Leben rausgerissen werden. Ein Leben, das Sie jahrzehntelang frei und selbstbestimmt gelebt haben. Plötzlich sind Sie fremden Weisungen unterworfen. Sie haben im Kopf, dass Sie auf ganzer Ebene versagt haben. Dass Sie weltweit gebrandmarkt sind. Dann kommen die Fragen: Wie geht es jetzt mit der Familie weiter? Ich kann mich ja nicht mehr kümmern. Was ist mit meiner Frau? Ich habe mich gar nicht von ihr verabschieden können. Natürlich auch Fragen wie: Was hast du denn aus deinem Leben gemacht, wie soll es denn jetzt weitergehen? Kann es überhaupt noch weitergehen? Ich habe ja kein Kapitalverbrechen begannen, keinen Mord, keine Körperverletzung – und natürlich fragt man sich: Bin ich wirklich eine solche Bedrohung für die Gesellschaft, dass man mich von jetzt auf gleich aus dem Verkehr zieht? Bei diesen Gedanken bekommt man tatsächlich Atemnot. Man weiß in seiner Verzweiflung gar nicht mehr, wohin mit seinen Emotionen. Das ist ein schlimmes, sehr schlimmes Erleben.

Und in Haft wurde es nicht besser.

Zunächst nicht, nein. Alle 15 Minuten gab es eine Suizidkontrolle, auch nachts, es raubte mir den Schlaf und es führte zu einer unheilbaren Auto-Immunkrankheit. Ich habe am eigenen Leib erfahren, dass die Bedingungen in deutschen Gefängnissen viel extremer sind, als sich das der Bundesbürger vorstellen kann.

Was sollte sich konkret ändern?

Meines Erachtens wäre es wichtig, das Bundesjustizministerium nachhaltig zu besetzen. Ich würde mir einen Bundesjustizminister wünschen, der zwei Legislaturperioden durcharbeiten darf. Denn der Justizapparat ist ein solches Moloch – und dann kommen doch immer nur Minister, die kurz danach wieder gehen, weil der Job halt ein Durchreiseposten geworden ist. Wann war die letzte große Justizreform? Sie können da ja mal nachschauen. (lacht) Das gesellschaftliche System hat sich weiterentwickelt, das juristische nicht. Wir sind jetzt eine digitale Gesellschaft, doch in deutschen Gefängnissen herrschen weiterhin Prinzipien einer längst vergangenen Zeit.

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