Irene Vallejo
„Bücher sind hartgesottene Überlebenskünstler.“
Zur Person
Irene Vallejo wurde 1979 in Saragossa im Nordosten Spaniens geboren. Sie ist promovierte Philologin für klassische Literatur der Universitäten Saragossa und Florenz und widmet sich seitdem schwerpunktmäßig der Entstehungsgeschichte des Buches, insbesondere in der Antike. In zahlreichen Artikeln, unter anderem für El Pais, hält Vallejo dazu an, Lehren aus der Antike zu ziehen und sie auf die Herausforderungen unserer Zeit zu übertragen. 2011 veröffentlichte sie ihren ersten Roman, der im spanischen Bürgerkrieg spielt. Nach weiteren literarischen Beiträgen zu Kinder- und Jugendliteratur feierte sie 2019 ihren Durchbruch mit dem Buch „Papyrus“, für das sie 2020 den angesehenen spanischen Essaypreis gewann, der seit seiner Stiftung 1975 erst an fünf Frauen verliehen wurde. Ihr Gatte Enrique Mora ist Filmemacher und unterstützt sie als Literaturagent.
25. April 2022, Saragossa. Irene Vallejo ist müde. Sie ist gerade von der Buchmesse Livre Paris zurückgekehrt, wo sie über ihr preisgekröntes erzählendes Sachbuch Papyrus gesprochen hat, in dem sie die Geschichte des Buches in den Blick nimmt. Ende April ist das 752 Seiten starke Werk auch in Deutschland erschienen, derzeit wird es ins Chinesische übersetzt. Ihr Agent und Ehemann stellt fürsorglich die Kamera ein und entschuldigt sich für die zweiminütige Verspätung. Als das Interview beginnt, bläst Vallejos ansteckende Leidenschaft für Literatur ihre Müdigkeit sofort weg. Die Autorin erzählt, wie sie einen der erstaunlichsten Sachbuch-Bestseller Spaniens verfasst hat und was ihr Vater und ihr Sohn damit zu tun haben.
Irene Vallejo, können Sie sich noch an das erste Buch erinnern, das Sie gelesen haben?
Als kleines Mädchen habe ich mich ziemlich lange dagegen gesträubt, überhaupt lesen zu lernen, weil ich Angst hatte, meine Eltern würden dann aufhören, mir vorzulesen. Ich habe mich also quasi schon durch mündliche Überlieferung in die Literatur verliebt, nicht durch das geschriebene Wort. Am meisten geprägt hat mich als Kind, wie mein Vater mir die Odyssee von Homer vor dem Schlafengehen frei vorgetragen hat. Mir war damals natürlich nicht klar, dass es sich um einen antiken Klassiker handelte. Ich ließ mich einfach verführen von dieser scheinbar unendlichen Reihe von Abenteuergeschichten um das Suchen, Scheitern und Weitersuchen. Mein Vater hat maßgeblich dazu beigetragen, dass ich die Laufbahn als klassische Philologin eingeschlagen habe, und meine Eltern waren selbst große Anhänger der Literatur. Wir hatten eine riesige Bibliothek zu Hause und sie haben mich regelmäßig mit Klassikern versorgt. Märchen haben mich nie wirklich interessiert, aber die antiken Göttersagen wie die nordische Edda habe ich verschlungen, und ich wurde bald zur Familienexpertin für Mythologien.
Schauen Sie heute auch die Marvel-Filme, in denen ja Figuren aus der Edda, wie Thor oder Loki, neu interpretiert werden?
Oh ja! (lacht) Ich interessiere mich sehr für die Spuren von Mythologie, nicht nur die offensichtlichen. Alle fesselnden Geschichten gehen auf Archetypen der alten Sagen zurück. Das ist eine ungeheuer effektive Erzählweise.