
Gundula Schulze Eldowy
„Ich war nie naiv. Obwohl die meisten das dachten.“
Zur Person
Gundula Schulze Eldowy, geboren 1954 in Erfurt, ging mit 18 Jahren nach Ostberlin und begann umfangreich zu fotografieren, bevor sie von 1979 bis 1984 an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst Fotografie studierte. Mit diversen Fotoserien erregte sie Aufsehen und das Missfallen der Behörden. 1985 begegnete sie dem amerikanischen Fotografen Robert Frank, der sie nach New York einlud, wo sie von 1990 bis 1993 lebte. Dort begann eine Phase, in der sich Schulze Eldowy, inspiriert von Beatniks wie Allen Ginsberg, verstärkt der Poesie zuwandte. Sie versteht sich selbst als Weltreisende. Davon geprägt ist seit Jahrzehnten auch ihre über die Fotografie hinausgehende Kunst. In den Jahren 1993 bis 2000 bereiste sie Ägypten. Es folgten Reisen nach Moskau und in die Türkei. Seit 2001 bereist Schulze Eldowy oft Bolivien und Peru, wo sie heute mit einem indigenen Künstler und Schamanen verheiratet ist und hauptsächlich lebt. Parallel hat sie ein Atelier in Berlin, wo sie oft arbeitet. Ihre Werke befinden sich in berühmten Museen in New York, Yale, Paris und Deutschland.
17. Januar 2024, Berlin. Gundula Schulze Eldowy kommt überpünktlich zum Interview in der Berliner Akademie der Künste, wo die weltberühmte Fotografin gerade eine Ausstellung vorbereitet. Draußen, rund um den Pariser Platz, protestieren zur selben Zeit Tausende Bauern in ihren Traktoren gegen die Bundesregierung. Auch während des Interviews hört man ab und zu das Protest-Hupen im abgedämmten Raum. Das Gespräch stört das jedoch in keiner Weise, sodass es rund zwei Stunden dauert, in denen es am Ende vor allem um zwei Fragen geht: Wie konnte man in der DDR so eine radikale Individualistin werden und warum war das die Voraussetzung für den Welterfolg der Künstlerin Gundula Schulze Eldowy?
Gundula Schulze Eldowy, unweit von hier begann Ihre Laufbahn als Fotografin. Im Scheunenviertel machten Sie in den 70er- und 80er-Jahren eindrucksvolle, schonungslose Bilder von den sogenannten einfachen Leuten. Sie wohnten selbst in Berlin-Mitte, waren aber in Erfurt aufgewachsen und kamen erst mit 18 Jahren nach Berlin. Warum?
Ich bin in Erfurt am Stadtrand groß geworden, in einem wunderschönen Viertel aus der Gründerzeit mit großen Parks, nahe einem Wald. Ich war jeden Tag im Grünen. Meine Großmutter stammte aus Schlesien, war aber vor dem Krieg in die Lausitz gezogen und mit meiner Mutter später nach Thüringen. Ich bin mit starken Frauen in einer Hottentotten-Familie aufgewachsen.
Wie muss man sich das vorstellen?
Na, komplett wild. Ich hatte vier Geschwister und war mehr ein Großmutterkind, weil meine Mutter oft nicht zu Hause war. Ich wohnte mit meiner liebevollen Oma zusammen in einem Zimmer. Ein Kind, das mit sehr viel Liebe verwöhnt wird, wird frech. In der Schule hatte ich schlechte Noten in Betragen. Einmal kam ein Elternbeirat wegen meines frechen Verhaltens zu uns nach Hause. Mein Vater rastete aus, weil er sich nicht sagen lassen wollte, wie er seine Tochter zu erziehen hat. Ich war leistungsmäßig ja sehr gut. Zu mir ist sie auch frech, sagte er, und wies dem Besuch die Tür. Die Lehrer dachten aber, sie bekämen mich in den Griff. Ich erhielt in Betragen eine Fünf, aber das beeindruckte meine Eltern nicht. Die haben mich völlig so sein lassen, wie ich war. Damit wurde die Basis für meinen Individualismus gelegt.