Gaspard Kœnig
„In schwierigen Zeiten geht nichts über ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht.“
Zur Person
Gaspard Kœnig, geboren 1982, erwirbt 2004 seinen Abschluss in Philosophie an der Pariser Eliteschule Lycée Henri IV. Neben seiner akademischen Karriere arbeitet er danach für die damalige französische Finanzministerin Christine Lagarde und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London. Als eingefleischter Anhänger des klassischen Liberalismus gründet er 2013 den Think Tank Génération Libre, der sich unter anderem für weniger Verwaltung und ein bedingungsloses Grundeinkommen ausspricht. 2018 lehrt Kœnig an der Sorbonne in Paris. Der Autor mehrerer Romane und etlicher Essays hat sich letztes Jahr den Traum vom eigenen Haus auf dem Land erfüllt und lebt in der Nähe von Bordeaux.
09. November 2022, Potsdam. Das Ambiente passt schon einmal, denn das Einstein Forum in Potsdam atmet die Art entspannter Atmosphäre, die zu einem angeregten Gespräch einlädt. Träge Sonnenstrahlen durchbrechen die Fenster; hinter der Scheibe ist es plötzlich so warm, dass Gaspard Koenig den Sitzplatz wechseln möchte. Dabei ist der französische Philosoph Strapazen gewohnt. Mit seinem Pferd Destinada ist er monatelang durch Europa geritten, um sich einen Begriff davon zu machen, was den Alten Kontinent als lebensanschauliche Heimat ausmacht. Sein Resümee fällt optimistisch aus, denn in einer Zeit, die von echten und gefühlten Unsicherheiten geprägt ist, stellt er eine grenzüberschreitende Harmonie fest. Seinem Gesprächspartner überlässt er die Wahl zwischen Französisch, Deutsch und Englisch.
Gaspard Koenig, Michel de Montaigne hat gesagt: „Vom Pferd aus sieht man besser.“ Können Sie diesen Eindruck nach Ihrer eigenen Erfahrung zu Pferde bestätigen?
Ja. Das fängt schon damit an, dass man im Sattel praktischerweise erhöht sitzt. So kann man zum Beispiel gut über Hecken schauen, hinter denen sich die Menschen in ihren Gärten normalerweise den Blicken von Passanten entziehen. Dazu kommt: Pferde sind keine Raubtiere, und deswegen werden sie von anderen Tieren auch nicht als Bedrohung wahrgenommen. Und weil Pferdegeruch stärker ist als Menschengeruch, sieht man im Wald viel mehr Tiere, als wenn man allein unterwegs wäre. Die Eichhörnchen und die Rehe wittern das Pferd, nicht aber den Reiter und fliehen daher erst im letzten Augenblick der Begegnung. Es ist so, als würde das Pferd einen zum Besuch in die Natur einladen. Und noch ein dritter Punkt: Wenn man auf einem Pferd in eine Ortschaft einreitet, ist einem die Aufmerksamkeit der Menschen gewiss. Man bietet einen ungewöhnlichen Anblick, und deswegen kommen die Leute sofort auf einen zu und stellen neugierige Fragen. Auf diese Weise bin ich unterwegs mit Hunderten von Menschen ins Gespräch gekommen und habe Geschichten gehört, die einem als normaler Tourist oder auch als Schriftsteller sicher unbekannt geblieben wären.
Worauf Sie es mit Ihrer Reise auch von vorneherein angelegt hatten?
Ja. Es sollte eine richtige Abenteuerreise werden, wie die, die Montaigne vor knapp 500 Jahren unternommen hat. Frankreich und Europa steckten damals in einer sozialen Krise, es gab einen Pestausbruch und einen Bürgerkrieg zwischen Katholiken und Protestanten. Keine gute Zeit zu reisen, sollte man meinen. Aber Montaigne wollte sich selbst ein Bild der Situation machen und begab sich deswegen auf den Weg von Bordeaux nach Rom, mit Umwegen durch die Schweiz und Deutschland. Er wollte mit den sogenannten einfachen Leuten in Kontakt treten und hat sich deshalb vorgenommen, nicht über das zu sprechen, was ihn selbst interessiert, sondern zu hören, was den jeweils anderen interessiert.