Literatur

Joost de Vries

Die Republik

Heyne · 29. August

Die Geschichte zweier niederländischer Wissenschaftler an einer amerikanischen Provinz- Uni – und worum geht’s? Um Hitler. Zumindest als Studienobjekt. Für den zweiten Roman des 33-jährigen Shooting-Stars Joost de Vries ist das eine prima Ausgangslage. Zum einen kann der Autor ein paar schwarzhumorige Hitler-Witze loswerden. Zum anderen sorgt der Führer als wissenschaftliches Sujet sogleich für eine obskure Grundstimmung, zumal sich der fiktive Historiker Josip Brik bei seinen Theorien weit aus dem Fenster lehnt – etwa, wenn er den Aufstieg von Robespierre mit dem von Hitler vergleicht. Die TV-gestählte Koryphäe Brik, eine Mischung aus Guido Knopp, Hellmuth Karasek und Henryk M. Broder, ist Mentor des jungen Friso de Vos, Chefredakteur der Zeitschrift „Der Schlafwandler“, ein Fachblatt für Hitlerreportagen seit 1991. Kernkompetenz: In Südamerika Menschen aufstöbern, die Hitler heißen und auch weiter so heißen wollen. Joost de Vries beschreibt mit einem Dauergrinsen im Gesicht die kauzige Beziehung dieser beiden Männer. Kaum hat der Leser das Geflecht verstanden, fällt Josip Brik aus dem Fenster seines Hotelzimmers in Amsterdam – wie einst Chet Baker. Mit diesem Unglück startet das Buch noch einmal neu. Als eine bislang unbekannte Person auftaucht und sich als Intimus des Toten entpuppt, wandelt sich der Roman in eine Spionagegeschichte im Intellektuellenmilieu. Die Story ist gut, doch das wahre Vergnügen ist es, die Codes zu knacken, die der Autor eingebaut hat. Schlüsselroman? Bildungsroman? Man hätte gerne Marcel Reich-Ranickis Meinung dazu gehört. Die Vermutung: Er hätte diesen Roman gemocht. Der Verlag lobt Joos De Vries als neuen Harry Mulisch. Allzuweit hergeholt ist das nicht. Glücklich mit diesem Buch wird aber auch, wer J.J. Voskuils grandios-absurde Romanreihe „Das Büro“ mag.

André Boße