DVD & Blu-ray

DVD der Woche

Wilde Maus

Majestic/Fox · 7. September

Die Frage, die Josef Hader in seinem Regiedebüt stellt ist eine existentielle: Was bin ich ohne Arbeit noch wert? Denn ohne sie keine Selbstvergewisserung.

Der Mann ist fast nackt, als er durch den kniehohen Schnee rennt. Und rennt und rennt. Im Gesicht blutend und mit zerbrochener Brille. Eine Situation, in die er nie geraten wäre, hätte man ihm seinen Schreibtisch gelassen und seine Position: der Wiener Musikkritiker Georg (Josef Hader) ist ein Mann mit Rang und Namen. Dessen ist er sich sicher. „Es wird Leserproteste geben“, argumentiert er gegen seine Entlassung, die ihn wie ein Schlag trifft. Chef Waller (Jörg Hartmann), die „deutsche Sau“, gibt sich unbeeindruckt: „Ihre Leser sind zum Großteil schon tot.“ Schöne neue Arbeitswelt: Georg muss nach gut 25 Jahren die Redaktion verlassen, weil an seiner statt drei junge Journalisten bezahlt werden können. „Ich fühle mich wie eine Insel, wo rundherum Wasser ist und keiner kann mir helfen“, wird er später sagen. Doch wer soll helfen, wenn die Arbeitslosigkeit verschwiegen wird? Auch Georgs Lebensgefährtin Johanna (Pia Hierzegger), ohnehin nur mit dem nächsten Eisprung und ihrem Kinderwunsch beschäftigt, wird nicht eingeweiht. Diese Schande, diese Schmach, sie ist zu groß. Um den Schmerz nicht fühlen zu müssen, behilft sich Georg mit einem Rachefeldzug gegen die „deutsche Sau“. Der außergewöhnlich humorbegabte Josef Hader konfrontiert uns in seinem durch und durch liebevoll komponierten Regiedebüt unter anderem mit der Frage: Wer bin ich, wenn ich nicht mehr arbeite? Denn durch Arbeit betreiben wir auch Selbstvergewisserung. Die Losung des Descartes „Ich denke, also bin ich - Cogito ergo sum“ reicht nicht mehr. Nur im Akt des Denkens die eigene Existenz zu beweisen - das mag früher gegolten haben, heute ist es zu wenig. Viel zu wenig. Der Mensch muss aktiv sein, muss sich anstrengen, muss etwas leisten. Im Erledigen und Vollbringen von Arbeit spiegelt ihm die Gesellschaft seinen Wert. Und er selbst, der Erwerbstätige, erlebt, dass sein Dasein einen Sinn hat. Dem Philosoph Alain de Botton zufolge stiftet Arbeit eine „dauerhafte Existenzenergie im Chaos des Seins“. Heutzutage ist daraus ein Appell geworden, man hat in seinem Job ganz und gar aufzugehen. Aber stimmt das denn, können sich Menschen in kapitalistischen Arbeitsverhältnissen überhaupt verwirklichen? Der Arbeitslose, dem erst mal der Boden unter den Füßen wegrutscht, mag es zynisch empfinden, aber vielleicht ist der Verlust des Jobs die Chance, Menschsein anders zu denken und Gesellschaft neu zu entwerfen.

Fazit:
Es ist ein Versuch über das Verlorensein des Selbst: Das sehenswerte Regiedebüt des österreichischen Kabarettisten Josef Hader führt in die Abgründe des Menschseins. Und offenbart die Überlebensstrategien des Künstlers: Humor und Poesie. Der kalte Wind dieser Zeit wird spürbar. Dem Hader seine große Liebe entgegenhält, mit der er auch Atmosphäre und Details inszeniert.

Sylvie-Sophie Schindler