Literatur

30.12. | Buch der Woche

Katharina Pistor • Der Code des Kapitals

Suhrkamp

Katharina Pistor
Der Code des Kapitals – Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft

Suhrkamp, 440 Seiten

Asoziales Eigentum

Aus Recht wird Geld – die Jura-Professorin Katharina Pistor sieht in ihrer Studie „Der Code des Kapitals“ die Vermögensungleichheit als Resultat individueller Besitzrechte an.

Was passiert, wenn aus Acker Bauland wird? Oder wenn auf natürliche Gen-Sequenzen Patente angemeldet werden? In beiden Fällen ist derselbe Mechanismus am Werk: Man macht aus etwas Gegebenem eine Menge Geld, viel mehr als es dem eigentlichen Wert entspricht. Für den Kapitalismus stellt diese Form der lukrativen Um- und Neudeklaration eine gängige Praxis dar, wie Katharina Pistors Studie „Der Code des Kapitals“ belegt. Unproblematisch ist das nicht, wenn man sich die daraus resultierende Verteilung des Vermögens ansieht. Gerade die Reichen profitieren überproportional von derlei Möglichkeiten der Finanzvermehrung, darunter Aktien und sonstige Besitzpapiere.

All dies beruht auf legalen Bedingungen. Nicht so sehr das bloße Durchsetzungsvermögen des Einzelnen, als vielmehr das Recht an sich verbürgt die Zulässigkeit solcher Methoden, die eine lange Geschichte hat. Bereits in der Republik Venedig waren Handwerker dazu angehalten, neu erfundene Gerätschaften behördlich anzumelden. Die Konsequenz: Der Rest der Branche hatte das Nachsehen und durfte die Apparate selbst nicht benutzen, ohne hohe Gebühren dafür zu entrichten. Die Philosophie hinter diesen – letztlich Monopolbildungen befördernden – Ordnungsversuchen geht auf die „westliche Rechtstradition“ zurück. Ihr „dient hier üblicherweise ein Naturzustand der Welt, der der Rechtsordnung vorauslag, als Begründungsmodell. Der imaginierte Naturzustand wurde verrechtlicht und das, was einmal natürlich war, in ein subjektives Recht verwandelt, das durchsetzbar ist, unabhängig von den sozialen Auswirkungen, die dies haben könnte.“ Um, frei nach dem Philosophen Thomas Hobbes, den Krieg aller gegen alle zu verhindern, wurde das individuelle Eigentumsrecht somit zum höchsten Prinzip erhoben. Doch wie viel Besitztum ist ethisch noch zulässig? Und was sollte durch rechtliche Neudefinition nicht der Gemeinschaft entzogen werden? Was gehört dem Kollektiv?

Pistor wirft durchaus wichtige Fragen zu unserer ökonomischen Rechtsordnung auf und veranschaulicht in voraussetzungsreichen, oftmals allzu komplizierten Argumentationen, wie sich der Kapitalismus von der Produktionskraft entfremdet hat. Reich wird man nicht durch Innovationen und harter Hände Arbeit, sondern durch ausgeklügelte Privilegien, die das System schlichtweg hergeben. Obgleich die Autorin mit der „Codierung“ einen neuen Begriff für die Umwandlung von immateriellen Gütern und Anteilsurkunden zu Geld ins Spiel bringt, ist der Erkenntnisgewinn dahinter eher gering. Dass das Kapital inzwischen Kapital erzeugt, ist seit Marx keine brisante Nachricht mehr. Hinzu kommen die erwartbaren und wenig erhellenden Lösungsvorschläge des Buches. Zu klären sei etwa, ob der Mensch „als eigennütziges, gewinnmaximierendes Individuum oder als soziales Wesen betrachtet [werden soll], das zur Selbstreflexion und zur kollektiven Selbstregierung fähig ist“. Sich in das Genre der Kapitalismuskritik einzuschreiben, so das Fazit, mag derzeit zwar populär erscheinen. Mehr Wissensgewinn ist allerdings nicht gewiss.

Björn Hayer