Literatur

3.11. | Buch der Woche

Timur Vermes • U

Piper

Timur Vermes
U

Piper, 160 Seiten

Jetzt müsste doch langsam mal die nächste Station kommen. Liegt die letzte nicht schon fünf Minuten zurück, oder zehn oder 20? Nach einer nervigen Bahnreise trennen nur noch fünf U-Bahnstationen die junge Lektorin Anke Lohm von einem bequemen Gästebett in der Wohnung einer Freundin. Doch die Bahn fährt weiter, immer weiter, scheinbar ungebremst durch die Dunkelheit, und Anke ist alleine im Abteil, allerdings nicht ganz alleine. Ein junger Mann – wollte er nicht schon längst ausgestiegen sein? – wartet im schummrigen Licht. Er ist also wieder da: Bestseller-Autor Timur Vermes entwirft in „U“ aus kargen Zutaten ein klaustrophobisches Kammerspiel, ein abgründiges Szenario, das seinen Horror nicht auszubuchstabieren braucht, um eine beklemmende Stimmung zu erzeugen. Kein Wunder, dass die Geschichte zunächst als Drehbuch angelegt war: In ihren knappen, fast hektischen Sätzen, schnellen Dialogen, grafischen Effekten und irrlichternden inneren Monologen ist sie atmosphärisch näher am B-Movie-Horrorklassiker „Blair Witch Project“ als an Friedrich Dürrenmatts Kurzgeschichte „Der Tunnel“, deren Setting sich Vermes gleichwohl gründlich angesehen zu haben scheint. Das ist auf den ersten Blick weit weg von der Romansatire, mit der Vermes im Jahr 2013 schlagartig bekannt wurde. „Er ist wieder da“ basierte auf der Idee, dass Adolf Hitler im Jahr 2011 auf einer Wiese mitten in Berlin erwacht. 2018 ließ Vermes in „Die Hungrigen und die Satten“ einen Treck aus 150.000 afrikanischen Flüchtlingen nach Europa ziehen. Insofern ist auch „U“ ein typischer Timur Vermes: Man nehme eine clevere Ausgangsidee und teste, wohin sie führt. Tief ins Dunkel diesmal. Aber auch: zu hell funkelndem Lesevergnügen.

Johannes Baumstuhl