Kino

28.10. | Kinotipp der Woche

Contra

Constantin · 28. Oktober

Contra
Constantin, 28. Oktober

Der richtige Film zum richtigen Zeitpunkt

Vor der Kamera steht Nilam Farooq schon seit Jahren, doch erst jetzt gilt die 32-Jährige als große Hoffnung für die Zukunft des deutschen Kinos. In Sönke Wortmanns zeitgemäßem und gesellschaftspolitisch relevantem neuen Film „Contra“ spielt sie nun an der Seite von Christoph Maria Herbst ihre bislang größte Rolle.

Daran, dass lange herbeigesehnte Kinostarts pandemiebedingt verschoben werden mussten, hatten im vergangenen Jahr viele Filmschaffende zu knabbern. So geht es auch Nilam Farooq aufgrund der Tatsache, dass „Contra“ beinahe ein Jahr später als ursprünglich geplant in die deutschen Kinos kommt. „Dieser Film ist quasi mein Baby, deswegen konnte ich es kaum erwarten, dass die Menschen ihn endlich sehen können“, sagt sie über den neuen Film von Sönke Wortmann, in dem die 1989 geborene Berlinerin ihre bislang größte Rolle spielt. „Aber natürlich habe ich mich irgendwann damit abgefunden, dass mir einfach eine besonders lange Phase der Vorfreude gegönnt wird.“ Dass „Contra“ – ein Remake des französischen Films „Die brillante Mademoiselle Neïla“ über eine muslimische Studentin und ihren herablassend-rassistischen Professor – für Farooq eine ganz besondere Bedeutung hat, liegt nicht zuletzt daran, dass ihr Werdegang als Schauspielerin bereits zu Schulzeiten seinen Anfang nahm. Nicht die Theater-AG am Gymnasium weckte das Interesse, sondern ein Ferienjob als Komparsin. Doch das Fußfassen in der Branche fiel in den ersten Jahren trotz Agentur und Coaching nicht leicht. „Ich hatte kaum Castings und hörte immer wieder, dass ich zu ausländisch oder nicht blond genug bin“, erinnert sich die Tochter eines pakistanischen Vaters und einer polnischen Mutter. „Manchmal wundere ich mich, dass ich überhaupt dabeigeblieben bin. Aber wenn man eine Sache liebt, lässt man sich eben schwer davon abhalten.“ Erfolge feierte Farooq parallel eher auf YouTube, wo sie etliche Jahre einen der erfolgreichsten Vlogs Deutschlands betrieb. Der Durchbruch als Schauspielerin gelang schließlich mit einer festen Rolle in der Krimiserie „SOKO Leipzig“, die aufzugeben ihr vor zwei Jahren deutlich schwerer fiel als das Ende des eigenen YouTube-Kanals. „Die Entscheidung brauchte Mut“, gesteht Farooq ein, „schließlich habe ich einen sicheren Job aufgegeben, ohne zu wissen, ob danach Arbeit auf mich wartet. Aber ich träumte immer von diesem einen Projekt, mit dem ich zeigen kann, was ich draufhabe. Ein Film, der auch wirklich gesehen wird – und der eine Thematik mitbringt, die mir am Herzen liegt.“ Wortmanns „Contra“ war ohne Frage der richtige Film zum richtigen Zeitpunkt. Toleranz an den Tag legen, sich auf andere einlassen und Alltagsrassismus keine Chance geben – diese Themen machen, so Farooq, die Essenz von „Contra“ aus – Botschaften, die angesichts der politischen Herausforderungen in diesem Land keinen Deut weniger wichtig sind als während der Dreharbeiten – und für sie auch im Arbeitsalltag Relevanz besitzen. „Manchmal wünsche ich mir, ich hätte mich auch früher schon mehr getraut, den Mund aufzumachen“, sagt Farooq über Diskriminierungserfahrungen in der deutschen Filmbranche. „Aber inzwischen habe ich meinen Weg gefunden, und es entspricht absolut meiner Persönlichkeit, geradeheraus meine Meinung zu sagen und gegebenenfalls auch Verluste in Kauf zu nehmen. Ich werde mit jedem Tag optimistischer, dass das nicht nur ein kurzlebiger Hype ist“, meint die Schauspielerin hinsichtlich aktueller Bemühungen um Veränderung in Sachen Diversität, Inklusion und Gleichberechtigung vor und hinter der Kamera. „Aber das Wichtigste ist jetzt, dass wir weiter darüber sprechen und an dem Thema dranbleiben. Denn dass sich etwas tun muss, ist seit Jahrzehnten überfällig.“ Was die eigene Karriere angeht, ist das nächste Kapitel für Farooq definitiv längst angebrochen. Dass „Contra“, für den sie bereits Anfang des Jahres mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet wurde, als Herzensprojekt so schnell nicht zu toppen sein wird, darüber macht sie sich keine Illusion. Aber die Zeiten, in denen nicht schon die nächste Rolle am Horizont wartet, sind auf jeden Fall vorbei: Ebenfalls im Oktober startet bei Netflix der Film „Du, Sie, Er & Wir“ von Florian Gottschick, in Wortmanns nächstem Film „Eingeschlossene Gesellschaft“ ist Farooq auch wieder mit von der Partie und die Dreharbeiten zu Doris Dörries „Freibad“ sind ebenfalls schon abgeschlossen.

FAZIT:
Was darf man noch sagen? Wo hört Provokation auf und wo fängt Diskriminierung an? Wie diskutiert man mit Menschen, deren Positionen man ablehnt? Es sind Fragen wie diese, die unser gesellschaftliches Klima prägen. Sönke Wortmann widmet sich ihnen ernsthaft und mit geschliffenen Dialogen, wenn auch nicht immer subtil. Was den Film über einen arrogant-charismatischen Professor – Typ alter weißer Mann –, der nach rassistischen Bemerkungen dazu verdonnert wird, seine selbstbewusst-smarte, muslimische Studentin auf einen Debattierwettbewerb vorzubereiten, sehenswert und kurzweilig macht, sind vor allem die beiden Hauptdarsteller. Nilam Farooq und Christoph Maria Herbst begegnen sich in „Contra“, der auf der Handlungsebene enger an der französischen Vorlage bleibt als in der Figurenzeichnung, nämlich in Bestform – und auf Augenhöhe.

Patrick Heidmann