Literatur

28.02. | Buch der Woche

Michael Schmidt-Salomon • Die Evolution des Denkens

Piper · 29. Februar

28.02. | Buch der Woche - Michael Schmidt-Salomon • Die Evolution des Denkens

Michael Schmidt-Salomon
Die Evolution des Denkens: Das moderne Weltbild – und wem wir es verdanken

Piper • 384 Seiten, 24,00 €


Fackeln im Sturm

Der Philosoph Michael Schmidt-Salomon erinnert mit Porträts großer Denker daran, wer die aufgeklärte Moderne vorangetrieben hat. Diese hat für ihn keine Kehrseite, doch der Deep Dive in seine Gedanken inspiriert.

Dieser anregende Bildungskanon ist ein wichtiges Buch in dieser Zeit. Die sozialen Medien sorgen mit ihren perfiden Algorithmen für eine Flut an raunend mystischen Verführungen. Viele Protestbewegungen fußen nicht länger auf einer zwar fragwürdigen, aber komplex-rationalen Theorie wie der des bärtigen Trierers, der auf dem Cover dieses Buches den visuell größten Kopf besitzt, sondern sind eher populistische Ersatzreligionen. Narrative der Endzeit mit Heiligen und Ketzern, mit Riten und Geheimsprachen sowie der Ermächtigung für den einfachen Menschen, selbst zum Inquisitor werden zu dürfen. Wie einschüchternd diese Instanzen heute sind, zeigt sich daran, dass Michael Schmidt-Salomon im Vorwort ausführlich erklärt, wieso die geringe Anzahl an Frauen (eine) in diesem inspirierenden Tableau moderner Köpfe nicht auf Sexismus zurückgeht. Bevor es schließlich richtig losgeht, positioniert er sich außerdem noch gegenüber den sprachlichen Anforderungen des Genderns. Er findet dafür eine originelle Lösung, indem er einfach alle Formen vom Gendersternchen bis zum generischen Maskulinum gemischt verwendet, weil »ein wenig Ambiguitätstoleranz« uns allen gut tue, aber allein die Tatsache, dass er sich gezwungen fühlt, sich vor den internalisierten Autoritäten des heutigen Zeitgeistes erklären zu müssen, erinnert an die Epochen, in denen kritische Denker als Vorbemerkung erst einmal ihren grundsätzlichen Respekt vor der Autorität der Kirche versicherten. Diese Ironie beiseite, darf man sagen – was nach diesem Vorwort an Nachzeichnungen der Gedanken von Charles Darwin, Albert Einstein, Marie Curie, Epikur, Friedrich Nietzsche, Karl Marx, Karl Popper, Carl Sagan, Alfred Wegener und Julian Huxley kommt, ist ein reines Bildungsvergnügen. Vor allem die drei Letzteren dürften Wenigen ein Begriff sein. Wegener war der Pionier der Plattentektonik und sah sich, wie alle Speerspitzen des modernen Denkens, direkt dem Widerstand der damals etablierten Wissenschaft ausgesetzt. Das Bild der Kontinente als eine Art gigantischer Eisschollen sei eine hanebüchene Fieberfantasie von ihm als fachfremdem Metereologen und Physiker. Die Geologen waren empört. Auf den Vorschlag des Astronomen Carl Sagan wiederum, die Voyager 1 am Ende ihrer Mission einmal umzudrehen und die Erde als winzigen »pale blue dot« aus sechs Milliarden Kilometer Entfernung zu fotografieren, ging man 1990 ein. Der erwünschte Effekt, dass die riesigen Egos der Spezies Mensch sich daraufhin bescheiden und man friedlicher miteinander umgeht, blieb weitgehend aus. Julian Huxley wird im März 1946, nach der Barbarei des Zweiten Weltkriegs, gefragt, ob er nicht der Generalsekretär der »Vorbereitenden Kommission« des ersten Programms der UNESCO werden möchte – als Evolutionsbiologe. Erwartbar wäre einmal mehr ein Politiker gewesen. Es ist unglaublich kurzweilig und ein reiner Fluss der Freude, diesen Porträts zu folgen. Große Gedanken dermaßen griffig, bingefähig und doch detailliert und zitatenreich zu arrangieren, stellt eine große Kunst dar. Sein atheistischer Kollege Richard Dawkins übrigens hätte nie so ein Vorwort geschrieben. Er attackiert sogar die vermeintlich vollwertige Verwandlung vom einen Geschlecht ins andere als hanebüchene Entsprechung zum katholischen Glauben, das Esspapier der Hostie würde tatsächlich in der »Substanz« zum Körper von Jesus Christus. Somit bleibt Schmidt-Salomon im Reigen der Religionskritiker von heute ein behutsamer Diplomat.

Oliver Uschmann