Kino

27.07. | Kinostart der Woche

L'Immensità

27.07. | Kinostart der Woche - L'Immensità

Foto: Angelo Turetta


Voller Nuancen

In »L’immensità« des italienischen Regisseurs Emanuele Crialese brilliert Penélope Cruz als unglückliche Mutter eines Kindes, das nicht nur seinen Namen ablehnt.

Frau Cruz, in »L’immensità« geht es um ein Kind, das sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren kann, in das es hineingeboren wurde. Doch Ihre Figur der Mutter ist kaum weniger tragisch, oder?

Mich haben die Parallelen zwischen den beiden sehr berührt. Clara, die Mutter, fühlt sich in ihrer Ehe und ihrem Alltag genauso gefangen, eingeengt, missverstanden und einsam wie ihr Kind, das sie zunächst noch als ihre Tochter sieht. In deren Augen erkennt sie die gleichen Gefühle, und auch wenn sie – durch die Familien- ebenso wie die gesellschaftliche Situation – darüber nicht wirklich offen sprechen können, schweißt es die beiden besonders eng zusammen. Auch in ihrer Liebe zum Fernsehen, zu Popmusik und Film, worin beide ihre einzige Flucht aus der Realität finden. Clara weiß nicht, wie sie mit dem, was ihr Kind durchmacht, umgehen soll. Aber sie ist die Einzige, die es versucht und Respekt und Mitgefühl aufbringt.

Denkt man bei einer solchen Rolle darüber nach, wie man in so einer Situation reagieren würde?

Ich stamme zum Glück aus einer anderen Generation als die Frau, die ich spiele. Ich wurde 1974 geboren, meine Eltern waren jung und unglaublich aufgeschlossen, weswegen es bei uns zu Hause zum Glück nie irgendwelche Tabuthemen oder so etwas gab. Das war in Spanien damals keine Selbstverständlichkeit, aber für mich ein großer Segen. Ohne dass ich an dieser Stelle konkret über meine eigenen Kinder spreche, was ich ja in Interviews nie mache, kann ich doch mit großer Sicherheit sagen, dass ich ihnen immer mit Akzeptanz, Verständnis und sehr viel Liebe begegnen würde. Ganz gleich, mit welchem Anliegen sie zu mir kämen.

Viele identitätspolitische Themen werden dieser Tage sehr heftig und verbittert diskutiert. »L’immensità« aber verwehrt sich Schwarzweiß-Kategorisierungen, nicht wahr?

Das liegt natürlich auch daran, dass unser wundervoller Regisseur Emanuele Crialese hier letztlich seine eigene Geschichte erzählt. Die Nuanciertheit ist ihm zu verdanken, seiner Sicht auf die Welt. Außerdem hält er sein Publikum nicht für dumm. Er bringt all diese Themen auf, kaut sie aber nicht vor. So kann jeder seine eigenen Schlüsse ziehen und Interpretationen finden. Emanuele drückt sich damit nicht vor Konflikten oder zieht sich ins Wage zurück, sondern weiß einfach, dass sich im Leben nicht alle Widersprüche auflösen lassen. Das macht einen Film automatisch so komplex, dass man ihn nicht ohne weiteres in eine Schublade stecken kann.

L'Immensità
27. April, 1 Std. 37 Min.

Von eigenen Kindheitserinnerungen hat sich Crialese zur enorm rührenden Geschichte des zwölfjährigen Kindes Adriana inspirieren lassen, das im Italien der 1970er Jahre sehr genau spürt, dass es ein Junge ist. Von zentraler Bedeutung ist in »L'immensità«, den Crialese mit famosen Musik-Sequenzen ausstattet, die Beziehung zur Mutter, in aller Liebe und Traurigkeit einmal mehr glänzend gespielt von Penélope Cruz. Doch besonders eindrucksvoll ist die junge, enorm prägnante Luana Giuliani als Crialeses Alter Ego.

Patrick Heidmann