Literatur

26.01. | Buch der Woche

Dantiel W. Moniz • Milch Blut Hitze

C.H. Beck

Das Ungesagte sagen

Die aufgeladene Beziehung zwischen Mädchen und ihren Müttern steht im Vordergrund von Dantiel Moniz‘ Kurzgeschichtensammlung. Ihre Sympathien sind gleichmäßig verteilt.

Die jugendlichen Heldinnen in „Milch Blut Hitze“ sind große Freunde des nächtlichen Herausschleichens, sei es für eine verbotene Party oder nur, um die verlassene Straße einmal ganz für sich allein zu haben. Die meisten von ihnen sind Mädchen im Teenageralter auf der Suche nach dem Ort, an dem sie wirklich sein wollen, nach dem Sinn für ihre rastlosen Gefühle. Doch weil alle Erzählungen im Florida der gesichtslosen Vorstädte spielen, ist die Landschaft selbst kein geeigneter Zufluchtsort, sondern oft nur die Leinwand der Ausweglosigkeit, vor der sich die immergleichen Schicksale zu wiederholen scheinen.

„Offensichtlich wachsen auch Jungs heran“, hat Dantiel Moniz in einem Interview zu Protokoll gegeben. „Aber es ist anders für Mädchen, weil es für sie all diese Zwänge und Erwartungen gibt, und viele davon sind doppelseitig.“ Das schlägt sich in den fragilen Freundschaften nieder, die das Aufwachsen begleiten, in der Konfrontation mit fragwürdigen Autoritäten in Kirche und Schule, letztlich aber vor allem in der Familie, wo die Liebe im Alltag zwischen verschiedenen Aggregatzuständen hin- und hermutiert, wütend und ohnmächtig. Moniz, Jahrgang 1989, kennt die Gefühlswelten von Müttern und Töchtern, kennt sowohl die unreifen als auch die geplatzten Träume, und tritt in ihren Erzählungen als Vermittlerin zwischen den Generationen auf, die am Ende gar nicht so weit auseinander liegen. Wo Konversationen aufgeladen sind, voller Abgrenzung und Ablehnung stecken, blickt die Autorin hinter die Agenda und entdeckt ein Geflecht aus widerstrebenden Emotionen, aus Angst, Mut und Sehnsucht und dem Gefühl, damit allein zu sein. Ihr Befund klingt auch deswegen ehrlich, weil ihre Figuren dabei immer wieder die Grenzen zwischen Kindheit und Erwachsensein überschreiten, und zwar in beide Richtungen. Die Kinder können reflektiert, rebellisch, kritisch und loyal sein, die Erwachsenen überfordert, hilflos und auf der Flucht vor sich selbst.

Diese Zwischenexistenz, die im Buch oft vor den Kulissen von Fast-Food-Restaurants, Supermärkten und Absturzkneipen real wird, scheint dabei auch ein gesamtgesellschaftliches Syndrom zu sein. In einer bezeichnenden Szene wird ein Springbrunnen beschrieben, der im Zentrum einer billigen Apartmentanlage steht und vor sich hin plätschert. Statt sich um dessen chronische Verunreinigung zu kümmern, ist die Hausverwaltung dazu übergegangen, das Wasser blau einzufärben – so als hörte ein Problem, das man nicht sieht, auch auf, eins zu sein. „Milch Blut Hitze“ ist dagegen auch in seiner Sprache wie klares Wasser, das freilegt, was unter der Oberfläche liegt. Die Sätze sind kurz und präzise und sagen zuverlässig auch das Ungesagte. Dabei ist viel Wärme im Spiel, auch körperliche Wärme, denn die Körper von Mädchen und Frauen sind ein weiterer Schauplatz der Zwänge und Erwartungen, aber auch der Lust und der Selbstvergewisserung, von denen Dantiel Moniz berichtet. Letztendlich gilt für alle elf Kurzgeschichten: Man kennt diese Menschen, auch wenn man sie nicht kennt. Hoffentlich geht es ihnen gut.


Dantiel W. Moniz
Milch Blut Hitze

C.H. Beck, 230 Seiten

Markus Hockenbrink