Musik

25.12. | Album der Woche

Martin Kohlstedt • Flur

Warner Classics

Foto: Konrad Schmidt

MARTIN KOHLSTEDT
Flur

Warner Classics

Kopf aus. Musik an.

Der Pianist Martin Kohlstedt hat Fachpublikum und Feuilleton tief für sich eingenommen. Dabei musiziert er am liebsten mit der naiven Freude eines Kindes.

Was hat er nicht alles schon gemacht, der in Weimar lebende Martin Kohlstedt: Er komponierte Solo-Piano-Alben und ließ sie von elektronischen Produzenten remixen. Er schrieb Filmmusiken und Theaterstücke, vertonte Hörbücher und Podcasts, spielte auf Klassik- und Jazz-Festivals auf der ganzen Welt, kollaborierte mit spannenden Künstlern wie FM Belfast, Hundreds, Douglas Dare oder Peter Broderick. Regelmäßig tritt er in den renommiertesten Konzerthäusern auf und liefert Konzerte mit stets offenem Ausgang und großer Lust an der Improvisation. Meist ist er dabei alleine, zuletzt aber konzertierte er auf experimenteller Ebene mit dem Gewandhauschor Leipzig – eine Zusammenarbeit, die in seinem letzten Album »Ströme« gipfelte. Es war der bisherige Zenit seines konzeptionellen Ansatzes, den er »modulare Kompositionen« nennt: Seine Stücke, die stets einen codierten Namen aus drei Großbuchstaben tragen, sind erstens niemals fertige Werke, sondern zu ständiger Entwicklung freigegeben und zweitens keine Einzelwerke, sondern nach Lust und spontaner Laune miteinander kombinierbar. Auf Basis dieser Module soll so mit jedem Konzert etwas völlig Neues kreiert werden. Wenn es gut läuft, so beschreibt Kohlstedt Äther, wo die Musik einfach durch einen hindurchfließt, und man selber ist nur noch der Ausführende. Manchmal spiele ich und kann nicht sagen: Sitze ich jetzt seit einer halben Stunde am Klavier, oder schon mehrere Stunden?« Kopf aus, Musik an, so laute die Devise: »Der Kopf steht guter Musik oft im Weg. Ihn ganz auszuschalten, das muss man ernsthaft trainieren.« Mit seinem neuen Album »Flur« kehrt er nun zurück zu den Anfängen als Solopianist: ein Raum – es ist sein Wohnzimmer –, ein Flügel und ein kompositorisches Motiv, das sich entwickelt, mäandert, seine Bestimmung sucht. Dass manche dieser durchweg kurzen Werke geradezu kindlich leicht klingen, betrachtet er als Kompliment: »In kindlicher Naivität steckt doch die größte Reinheit«, sagt er. »Es war nie die Idee der klassischen Musiker selber, E-Musik zur Monstranz des Komplexen zu überhöhen. Das geschah von außen, unter anderem, um hochbegabte Kinder auf eine pure Leistungsschau zu drillen. Dabei liegt der kindlichen Freude am Musizieren nichts ferner.« Umso schöner, dass Kohlstedt auch dem Hörer erlaubt, in seinen warm perlenden Miniaturen wieder einmal etwas Kind zu sein.

FAZIT:
Wenn Kohlstedts Hände über die Tasten fließen, scheint man in den Hämmerchen zu wohnen, die die Pianosaiten anschlagen. Es sind perfekt in Form gegossene Momentaufnahmen, manche davon sogar im ersten Take eingespielt. Der direkte Eindruck vertieft sich umso mehr durch die » Nebengeräusche «: Hier pfeift der Wind durchs Fenster, dort klappert der Nachbar mit Töpfen, entfernt fährt ein Mofa vorbei. Intimer, wahrhaftiger, existenzieller geht es nicht.

Sascha Krüger