Kino

25.05. | Kinotipp der Woche

All The Beauty And The Bloodshed

25.05. | Kinotipp der Woche - All The Beauty And The Bloodshed

Foto: Nan Goldin


Die Künstlerin als Aktivistin

Bislang drehte Laura Poitras Dokumentarfilme, die sich mit Machtmissbrauch seitens der US-Regierung auseinandersetzten. Nun traf die Oscar-Gewinnerin in der Fotografin Nan Goldin auf eine Seelenverwandte – und widmete ihr mit »All the Beauty and the Bloodshed« einen Film, der von politischer Kunst und künstlerischem Aktivismus gleichermaßen handelt.

Ms. Poitras, in Ihren bekanntesten Filmen wie »Citizenfour« und »Risk« beschäftigten Sie sich mit hochpolitischen Themen und Menschen wie Edward Snowden oder Julian Assange. Sehen Sie »All the Beauty and the Bloodshed« als einen Richtungswechsel?

Nein, ich sehe viele Verbindungen zwischen den genannten Filmen und diesem. Meine Arbeit dreht sich letztlich fast immer um Macht, Machtmissbrauch und wie häufig man in den USA und im Kapitalismus damit durchkommt. In »All the Beauty and Bloodshed« geht es dabei um die einflussreiche Sackler-Familie, die mit ihrem Konzern wissentlich eine Droge auf den Markt gebracht hat, die Hunderttausende Menschen das Leben kostete. Und um das Versagen der Regierung, irgendetwas dagegen zu unternehmen, weswegen es Individuen wie Nan Goldin brauchte, die mit ihrem Engagement schließlich für Veränderung sorgte. Sie ist keine Whistleblowerin, sondern Künstlerin und Aktivistin. Und vor allem jemand, der nicht tatenlos zusieht, wenn schlimmstes Unrecht geschieht, sondern einiges aufs Spiel setzt, um etwas dagegen zu tun.

Wie kamen Sie darauf, sich Goldin filmisch zu widmen?

Ich entdeckte ihre Arbeit als Fotografin für mich in den 80er-Jahren in San Francisco. Ihr ebenso bahnbrechendes wie mutiges Werk »The Ballad of Sexual Dependency« hat mich enorm inspiriert. Später lernten wir uns kennen, und bei einem unserer Treffen berichtete sie mir davon, dass sie begonnen habe, die Arbeit ihrer Aktivist*innen-Gruppe P.A.I.N., Prescription Addiction Intervention Now, zu filmen, mit der sie gegen die Sacklers und die Opioidkrise in den USA kämpft. Sie suchte jemanden, der das Projekt übernimmt – und ich war interessiert.

Letztlich wurde daraus aber nicht bloß ein Film über Goldins Aktivismus, sondern auch einer über sie als Person und Künstlerin. War das von Beginn an Ihr Plan?

Nicht wirklich, und vor allem nicht Nans. Aber ehrlich gesagt ist jeder meiner Filme zu Beginn etwas anderes als das, was am Ende dabei herauskommt. In diesem Fall hatte das zunächst damit zu tun, dass ich von Nans mir bis dahin unbekannter Ausstellung »Witnesses: Against Our Vanishing« erfuhr, mit der sie 1989 auf die AIDS-Krise reagiert hatte. Ich wusste schnell, dass da irgendwie auch ein historischer Dialog entstehen musste mit ihrem heutigen Aktivismus. Denn wie sie selbst sagt, hatte sie damals dabei zusehen müssen, wie sie quasi eine ganze Generation verliert, und wollte nicht, dass das durch die weitverbreitete Oxy-Cotin-Sucht noch einmal geschieht. Das erste Interview, das ich dazu mit ihr führte, bewegte mich durch seine Tiefe und ihre Offenheit so sehr, dass ich unbedingt weitere führen wollte. So entstand etwas, das ich nicht als Biografie bezeichnen würde, aber als ein von der Künstlerin selbst gestaltetes Porträt.

Mit mächtigen Widersachern kennen Sie sich aus, schließlich wurden Sie lange von der US-Regierung überwacht und standen auf der Terrorverdächtigen-Liste des Ministeriums für Innere Sicherheit. Als wie gefährlich sahen Sie im Vergleich dazu die Sacklers?

Für Nan stand anfangs viel auf dem Spiel. Als sie mit ihrem Kampf begann, waren die Sacklers dank all ihrer Spenden in der internationalen Kunstwelt noch enorm einflussreich und hätten ihrer Karriere enorm schaden können. Wir hielten die Arbeit an »All the Beauty and the Bloodshed« komplett unter Verschluss, aber auf Nan waren Privatdetektive angesetzt, also wusste man wohl doch, was wir vorhatten. Äußern wollte sich auf Nachfrage allerdings niemand. Ich selbst habe beim Gedanken an die Sacklers keinen Schlaf verloren, schließlich bin ich da längst ganz anderes gewohnt. Fast hätte ich es spannend gefunden, wenn sie versucht hätten, etwas gegen den Film und meine Arbeit zu unternehmen!


All The Beauty And The Bloodshed

  1. Mai • 2 Std. 7 Min.

Mit viel Geschick und emotionaler Wucht vereint Laura Poitras, Oscar-prämiert für ihren Whistleblower-Film »Citizenfour«, in ihrem neuen Werk zwei durchaus unterschiedliche Ansätze. Einerseits begleitet sie Nan Goldin, die lange selbst von Schmerzmitteln abhängig war, und ihre Mitstreiter bei ihrem Kampf gegen die Sacklers, bei dem es um Entschädigung für Opfer der Opioid-Krise genauso geht wie darum, die Museen dieser Welt zu einem Ende der Zusammenarbeit mit der Pharma-Familie zu bewegen. Andererseits zeichnet Poitras mittels ausführlicher Gespräche und umfangreicher Materialien Leben und Werk der amerikanischen Ausnahme-Fotografin nach. Das Ergebnis ist das packende und hochpolitische Porträt einer mutigen, eigensinnigen und wegweisenden Künstlerin, der man keinen besseren, ja kunstvolleren Dokumentarfilm hätte wünschen können.

Patrick Heidmann