Literatur

25.03. | Buch der Woche

Oskar Roehler • Der Mangel

Ullstein · 28. Februar

Oskar Roehler
Der Mangel
Ullstein - 176 Seiten

Künstler in der Grube

Der Filmemacher und Schriftsteller Oskar Roehler erzählt in seinem Entwicklungsroman „Der Mangel“ vom Glück einer entbehrungsreichen Kindheit im Randgebiet der Zivilisation.

Es gibt diese Geschichte vom großen Klaus Kinski, der eine Zeit lang, um seinem Selbstbild als leidendem Künstler besser zu entsprechen, nur nackt durch seine Wohnung flanierte, deren Böden er zudem mit Laub ausgeschüttet hatte. So öffnete er dann auch dem verdutzten Postboten. Man muss daran denken, wenn man den jüngsten Roman von Oskar Roehler liest, der den Titel „Der Mangel“ trägt – weil darin mit ähnlicher Verbissenheit am Mythos vom Schmerz als schöpferischer Kraft gearbeitet wird, weil sich Pose, Pathos und echte Passion ebenso unmöglich voneinander trennen lassen.

Roehler, bekannt geworden vor allem mit dem Film „Die Unberührbare“, diesem harten Porträt seiner Mutter, der Schriftstellerin Gisela Elsner, hat sich zuletzt ja selbst zunehmend zweifelhaft als Außenseiter des Kulturbetriebs inszeniert. Hat den grauenhaften Roman „Subs“ von Thor Kunkel verfilmt, diesem PR-Kampagnen-Kumpel der AfD, hat in Interviews über seine eigene unkonforme politische Haltung („eher rechts“) schwadroniert, hat sein trostloses Weltekel-Buch „Selbstverfickung“ mit rassistischen Ausfällen gewürzt, die bloß noch nach impotenter Provokationslust klangen.

„Der Mangel“ ist dagegen vergleichsweise zurückgenommen – was der Titel schon nahelegt (ein anderes Buch von Roehler hieß „Mein Leben als Affenarsch“). Geschildert wird eine Kindheit in den 60er-Jahren, im „Zonenrandgebiet“ der bayerischen Provinz, wo die Eltern des Erzählers (entwurzelte Sudetendeutsche) sich neben anderen Familien ein karges Eigenheim in einer Siedlung am Hang bauen – fernab der Zivilisation, umgeben von feindseligen Bauern und schroffer Natur.

Es ist ein durch und durch archaisches Szenario, das Roehler hier entwirft. Zum Beispiel arbeiten sich die Siedlungskinder, als eine Art verwildertes Wolfsrudel, bis zur völligen Entkräftung an einer Lehmgrube ab, die zum Sinnbild für ein Selbsterlebnis durch ziellosen Kampf wird. Im Ohr haben sie dabei den zweiten Satz aus Beethovens „Eroica“. Die Kunst bildet überhaupt den Kontrast zum Vegetieren auf der Hut, wie die Siedlung heißt. Ein Waldorfpädagoge wird hier zum Mentor der Jungs und lädt ihre ungeformten Hirne mit allerlei Roehler-Heroen auf: mit Beckett und Kafka, den Malern Fra Angelico und Francis Bacon, Poeten wie John Keats. Zum Menschen macht uns erst das Musische.

Auch in der „Der Mangel“ breitet Roehler seinen Überdruss an einer Moderne aus, die keine anderen Sinnangebote hat als Flachbildfernseher und Tiefkühlpizza. Wobei ihm immer wieder leuchtende Passagen glücken, die zwischen Verachtung, Zärtlichkeit und Wehmut oszillieren. Etwa, wenn er die Väter der Siedlung beschreibt, sämtlich das, was man einfache Leute nennt: „Sie rauchten Pall Mall oder Roth-Händle ohne Filter. Sie hatten große Hände. Sie trugen nach Feierabend im Sommer Feinrippunterhemden. Sie waren einsilbig und wirkten arrogant.“

Die Kunst wird für den Erzähler zur Fluchtheimat, die allerdings keine Geborgenheit schafft, sondern nur weitere Entbehrungen abverlangt. Zugleich ist sie das einzige Überlebensmittel. Daran glaubt Oskar Roehler wirklich.

Patrick Wildermann