Kino

23.12. | Neustarts der Woche + Interview

Aline – The Voice of Love
Weltkino, 23. Dezember

Verneigung aus der Ferne

Die französische Schauspielerin und Regisseurin Valérie Lemercier hat ein humorvolles Biopic über Céline Dion gedreht – und nennt es trotzdem „Aline“.

Valérie Lemercier, für „Aline“ haben Sie ganz offiziell die Rechte an den Songs von Céline Dion erworben, darüber hinaus haben Sie jedoch keinen Kontakt zu ihr aufgenommen. Wieso?
Weil ich finde, dass man aus der Entfernung besser sieht. Wenn man zu nah dran ist an einer Sache, dann hat man selten die ideale Perspektive. Dadurch, dass ich die Distanz gewahrt habe, behielt ich die künstlerische Freiheit, mir Dinge auch auszudenken. Und das war nötig, schließlich wollte ich nicht bloß einen Wikipedia-Eintrag bebildern, sondern eine Liebesgeschichte erzählen.

Deswegen auch die Namensänderung, von Céline in „Aline“?
Ja, genau. Natürlich ist es Céline Dions Leben, das mich zu dieser Geschichte inspiriert hat. Aber ich wollte eben auch nicht, dass sich Leute drüber aufregen, wenn sie im Film bei einem Konzert ein blaues Kleid trägt, obwohl sie in Wirklichkeit ein schwarzes trug. Oder wenn bei mir ein Song schon vor ihrer Hochzeit vorkommt, den sie tatsächlich erst danach aufgenommen hat. Solche Details, die auf die Geschichte selbst keinen Einfluss haben, sollten mich nicht einschränken.

Dions Karriere wurde immer schon von viel Häme begleitet. Wie haben Sie für Ihren Film den richtigen Tonfall gefunden?
Mich über sie lustig zu machen war das Letzte, was ich im Sinn hatte. Der Film ist keine Satire, sondern eine Verneigung vor ihr. Ich finde, dass sie ein faszinierender, sehr witziger Mensch ist und habe mich sehr gründlich mit ihr und ihren Lieben auseinandergesetzt. Ich habe mich zur Vorbereitung ein ganzes Jahr lang mit nichts anderem beschäftigt als mit diesen Menschen, habe alle Bücher gelesen, die es über Céline, ihren verstorbenen Mann und ihre Mutter gibt.

Dass Sie die Protagonistin nicht nur als Erwachsene, sondern auch als Kind spielen, dürfte viele verblüffen. Warum diese Entscheidung?
Ich habe schon in vielen meiner Projekte junge Mädchen gespielt. Das ist also eine Art Markenzeichen von mir und macht mir viel Spaß. Dazu kommt aber auch, dass ich es als Regisseurin sehr schwierig finde, Kinder dazu zu bringen, eine andere Person zu verkörpern. Die sind eigentlich fast immer sie selbst, weswegen Castings oft langwierig sind. Mehr als ein paar Stunden pro Tag drehen dürfen sie obendrein auch nicht. Es hatte also nur Vorteile, die Rolle selbst zu übernehmen. Und witzig finde ich es natürlich auch.

Interview: Patrick Heidmann

Die wichtigsten Stationen im Leben von Céline Dion sind alle auch in „Aline“ präsent, von der Kindheit in Quebec als jüngstes von 14 Geschwistern über den Eurovision-Sieg bis hin zur Ehe mit ihrem Manager und den lukrativen Las Vegas-Engagements. Noch wichtiger ist allerdings, dass es Valérie Lemercier gelingt – allen Verfremdungseffekten zum Trotz (die Songs etwa ließ sie von Victoria Sio covern) – das Wesentliche einzufangen: Dions faszinierende Mischung aus überlebensgroßem Divatum und liebevoller Schrulligkeit. Ein ungewöhnliches, charmantes und humorvolles Biopic.


The Lost Leonardo
Piece of Magic, 23. Dezember

Als 2004 urplötzlich ein bisher unbekanntes Gemälde von Leonardo da Vinci auftaucht, ist die Verblüffung der weltweiten Kunst-Community groß. Schließlich können dem bedeutenden Hochrenaissance-Maler nur 15 Kunstwerke als gesichert zugeschrieben werden. Schon bald werden Zweifel an der Echtheit von „Salvator Mundi“ laut. Trotzdem steigert das zunächst in einem New Orleanser Auktionshaus für gerade mal 1175 Dollar verkaufte Werk seinen Wert bis 2013 auf 83 Millionen. Mit der packenden Kunst-Krimi-Doku »The Lost Leonardo« zeichnet der dänische Regisseur Andreas Koefoed aber nicht nur die Reise eines Gemäldes nach, sondern gibt auch Einblicke in die Mechanismen der internationalen Kunstszene und deren erschreckende Verflechtung mit dem globalen Geldmarkt. Fast schon folgerichtig erwirbt der saudi-arabische Despot Mohammed bin Salman das Porträt 2017 bei einer Versteigerung von Christie's für den Rekordpreis von 450 Millionen Dollar. Die Herkunft des Bildes freilich ist bis heute nicht geklärt.

Dirk Hartmann


Ein Festtag
Tobis, 23. Dezember

Jane Fairchild (Odessa Young) ist Dienstmädchen bei Mr. und Mrs. Nevens (hochkarätig: Colin Firth und Olivia Coleman). Es ist 1924 und die Familien tragen immer noch den Schleier der Trauer wegen des Verbleibs ihrer Söhne im Krieg. Jane bekommt am Muttertag frei und darf das erste Mal durch die hochherrschaftliche Vordertür ihres langjährigen Geliebten Paul Sheringham (Josh O’Connor) schreiten, um sich mit ihm zu vergnügen. Ein letztes Mal wollen sie sich treffen, bevor er standesgemäß eine andere Frau heiratet. Denn die Bande zwischen Herr- und Dienerschaft haben keine Bedeutung, wenn es erst um die Wurst geht. Vorzüglich und treffend hierbei, wie Jane die Körperflüssigkeiten der beiden Liebhaber jeweils unterschiedlichen Klassen zuordnet. Basierend auf Graham Smiths Roman „Mothering Sunday“ zeigt uns Regisseurin Eva Husson in Rück- und Vorblenden eindrucksvoll eine Frau, die der sozialen Determination entflieht und der Gesellschaft später als gefeierte Schriftstellerin den Spiegel vorhält.

Nora Harbach