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23.09. | Album der Woche

Suede • Autofiction

BMG

23.09. | Album der Woche - Suede • Autofiction

Punk im Seidenhemd

Lauter und direkter: Suede präsentieren ein Album, das die Live-Energie ins Studio holen soll. Kein unproblematischer Plan. Aber: Er geht auf.

Wie gelingt es, als Band jung zu bleiben, wenn es die Mitglieder offensichtlich nicht mehr sind? Suede haben sich im Vorfeld ihres neunten Albums genau diese Frage gestellt. Die Briten starteten ihre Karriere in den frühen 90er Jahren, als aufregende Neo-Glamrockband galten sie als Impulsgeber der Britpop-Bewegung. Knapp 30 Jahre sind seitdem vergangen, aus den jungen Göttern sind gealterte Ikonen geworden. Was weder schlimm noch zu vermeiden ist, aber dennoch die Frage aufwirft, was man davon halten soll, wenn Suede nun im Jahr 2022 eine Platte ankündigen, die sie als ihr „Punk-Album“ verstehen – wobei die Suede-Version von Punk weiterhin eher Seidenhemd als zerfetzte Shirts trägt. Macht sich da eine Gruppe jünger, als sie in Wirklichkeit ist? Und geht dieses Konzept zwangsläufig in die Hose, wenn man bedenkt, wie großartig das melancholische Vorgängeralbum The Blue Hour geraten war, auf dem Suede kunstvoll Soundtracks-Atmosphären, Field Recordings und melodramatisches Songwriting kombiniert hatten? Brett Anderson, Sänger, Co-Songwriter und Texter der Band, hat diese Schwierigkeit umkurvt, indem er es auf zwei Dinge ankommen ließ: „Erstens, viel Zeit ins Songwriting zu investieren, damit die Stücke nicht nur laut und roh klingen, sondern auch hochwertig sind. Und zweitens, zu versuchen, die Live-Energie von Suede ins Studio zu holen.“

Einfacher gesagt als getan. Die Briten galten schon auf ihrem Debütalbum als hochelegante Gruppe, die eher das Gefühl von Samt und Seide vermittelte als die Atmosphäre eines verschwitzten Proberaums. „Live sind wir seit jeher anders“, sagt Brett Anderson, „da gibt es mehr Kanten.“ Um diese ins Studio zu bringen, planten Suede die Aufnahme eines Studioalbums, das eigentlich eine Live-Platte ist. „Die Idee war, ein paar Dutzend Fans in den Raum zu holen, um damit Konzertbedingungen herzustellen.“ Covid beendete diese Pläne, der Ansatz blieb aber gleich: „Wir gaben uns“, sagt Anderson, „den Auftrag, die Songs nicht auf Hochglanz zu polieren.“ Zu den – verglichen zu anderen Suede-Platten – lauten Gitarren, pumpenden Bässen und druckvollen Drums singt Brett Anderson sehr persönliche Texte, die dem Titel des Albums gerecht werden: Autofiction. „Jeder Tagebucheintrag ist eine Fiktion, in jeder Fantasy-Geschichte steckt Wahrheit“, sagt er. „Die Lyrics spielen zwischen diesen beiden Polen. Sie sind persönlicher und direkter denn je, aber natürlich immer auch eine Erfindung.“

Suede
Autofiction

BMG • 16. September
Suede-Fans stehen auf ausufernde Songs und große Gesten. Ist dieser Ansatz mit der Punk-Idee vereinbar? Auf die Grundskepsis folgt schnell das positive Urteil. Suede spielen tolle Songs mit viel Druck, Sänger Brett Anderson ist in Hochform, wenn er mit „She Still Leads Me On“ ein Tribut an die verstorbene Mutter singt, sich in „Drive Myself Home“ in Selbstmitleid suhlt oder mit aggressivem Sprechgesang seine „Personality Disorder“ analysiert. Anders als die Großwerke „Dog Man Star“ oder „The Blue Hour“ kein Album für die Ewigkeit, aber im Hier und Jetzt eine überzeugende britische Gitarrenplatte.


Foto: Dean Chalkley

André Bosse