Kino

22.09. | Kinostarts der Woche

22.09. | Kinostarts der Woche

Mittagsstunde

Peter von Kant


Mittagsstunde

  1. September, 1 Std. 32 Min.

Lars Jessen hat den Schalk im Nacken. Das zeigt sich vor allem in seinen Kinofilmen, die im deutschen Norden angesiedelt sind. Mit „Mittagsstunde“ zieht es ihn erneut aufs platte Land. Der Regisseur erzählt von Kneipen und Gemeinschaftssinn, von Sprache als Kultur – und davon, wie alles verschwindet.

Lars Jessen, „Bobby Ewing“, „Dorfpunks“ und nun „Mittagsstunde“: In allen drei Filmen geht es um die Auseinandersetzung eines Menschen mit seinem Umfeld in der norddeutschen Provinz – als Kind, als Jugendlicher und nun als Erwachsener. War das von vornherein als Trilogie geplant?
Ehrlich gesagt habe ich darüber noch nie nachgedacht. Ich finde es aber sehr schön, wenn man das so sieht. Auch „Mittagsstunde“ ist eine Coming-of-Age-Geschichte, wenn auch auf einer anderen Flughöhe als die beiden anderen Filme. Ich versuche, die großen Themen des Lebens aus meiner Realität zu ziehen und in einen Film einzubauen. Und ganz zentral ist da für mich immer die Gastronomie.

Was macht die Kneipe so spannend für Sie?
Ich habe meine Jugend sehr gerne in der Dorfkneipe verbracht. Da tobte das Leben, da trafen sich alle: der Akademiker, die Künstlerin, der Bauer, Jung und Alt. Der Schmelztiegel Kneipe zieht sich durch alle drei Filme. „Mittagsstunde“ wirft darauf einen wehmütigen Blick, denn der Film zeigt ja, wie eine solche Gemeinschaft bis in die 80er Jahre besteht, sich dann aber langsam auflöst. Irgendwann scheint uns dieser Gemeinschaftssinn entglitten zu sein.

Und mit „Mittagsstunde“ haben Sie sich auf die Suche nach ihm gemacht?
So wie die Autorin Dörte Hansen das auch schon in der Romanvorlage macht, indem sie Ingwer, die Hauptfigur, seinen Job an der Uni auf Eis legen lässt, damit er seine Eltern in der Provinz pflegen kann. Diese führten jahrzehntelang die Dorfkneipe in Brinkebüll, in die sich jetzt kaum noch jemand verirrt. Insofern geht es in meinem Film um Menschen, denen die Kultur einfach durch die Finger gerieselt ist. Bei Norddeutschland denken wir an Krabbenfischer in Gummistiefeln. Das ist ein Klischee, dem wir Norddeutsche sogar selbst gerne aufsitzen. Norddeutsch ist gleich Fischkopp.

Etwa nicht?
Nein. Ich bin nur 10 Kilometer entfernt von der Nordsee aufgewachsen, und das Meer war mir scheißegal. Aber dafür hatten wir Korn-Lift, eine Verkehrsinsel zum Feiern und einen ziemlich ruppigen Umgang untereinander. Erst wenn das weg ist, stellst du fest, dass das deine Kultur war. Revitalisieren lässt sich die oft nur noch über ein Klischee. Das finde ich schade.

Der Film lebt auch vom Kulturgut Sprache. Gut die Hälfte der Dialoge sind auf Plattdeutsch. Sehen Sie Plattdeutsch als eine eigene Sprache oder geht es noch als deutsche Mundart durch? Es ist eindeutig eine Sprache mit eigenem Vokabular und eigener Grammatik. Auch im Niederländischen findet sich viel Plattdeutsches.

Wie viele der Schauspieler waren dieser Sprache im Vorfeld mächtig?
Mit Rainer Bock, der Ingwers Vater Sönke in jungen Jahren spielt, hatten wir das Glück, einen gebürtigen Kieler zu verpflichten, der Plattdeutsch intuitiv beherrschte. Charly Hübner, der seinen Sohn Ingwer spielt, lebt in Hamburg und hatte die Klangfarbe im Ohr, auch wenn sie natürlich durch das heimatliche Mecklenburgische bestimmt ist. Außerdem hat Dörte Hansen mit den Darstellenden vor jedem Take die Sätze gebüffelt. Zu guter Letzt wurde jede plattdeutsche Szene auch in Hochdeutsch gedreht – und umgekehrt. De facto haben wir den Film zweimal gedreht.

Warum das?
Weil ich keine Synchronisation im Film haben wollte. Es fällt immer auf, wenn ein Dialog nicht genau lippensynchron ist. Er verliert den natürlichen Ausdruck. Beim Drehen ist mir dann aufgefallen, wie sehr sich das Plattdeutsche in die Körper der Darstellenden einwob. Nicht nur die Aussprache veränderte sich, sondern auch Mimik und Körperhaltung.

Deutsche Mundarten kennt man eher aus Komödien. Wie groß war die Gefahr, durch das Plattdeutsch zu komödiantisch zu werden?
Das humoristische Element durch das Niederdeutsche haben wir bewusst unterlaufen. Aber wenn es darum ging, mit einem kurzen, trockenen Dialog die Situation zu entspannen, passierte das von ganz allein. Denn bei all den existenziellen Fragen, die „Mittagsstunde“ aufwirft, braucht der Zuschauer ab und zu einen Moment zum Luftholen und Lachen.

Interview: Edda Bauer

Fazit
Ein Dorf, das langsam verschwindet. Eine Kneipe, der die Gäste wegsterben. Nach dem Roman von Dörte Hansen erzählt Regisseur Lars Jessen in „Mittagsstunde“ vom schleichenden Untergang der Kultur und der plattdeutschen Sprache in der norddeutschen Provinz. Wofür andere eine ganze TV-Serie brauchen (beispielsweise Edgar Reitz‘ „Heimat“), das schafft Jessen mit seinem Rückblick über fünfzig Jahre in kurzweiligen 92 Minuten. In deren Zentrum steht Ingwer Feddersen (Charly Hübner), der sich ein Jahr Pause von seinem Job an der Kieler Uni nimmt, um in Brinkebüll seine Eltern zu pflegen. Bei Vater Sönke (Peer Franke und Rainer Bock) machen die Knochen nicht mehr mit, bei Mutter Ella (Hildegard Schmahl und Gabriela Maria Schmeide) hat die Demenz eingesetzt. In die Erinnerungen der drei an ihren „Dorfkrug“, einst feuchtfröhlicher Mittelpunkt der Gemeinde, mischt sich nach und nach mehr als ein Familiengeheimnis.


Peter von Kant

  1. September, 1 Std. 25 Min.

François Ozon ist ein großer Verehrer von Rainer Werner Fassbinder. Mit „Tropfen auf heiße Steine“ verfilmte er 2000 schon dessen Theaterstück. Mit „Peter von Kant“ liefert Ozon nun ein Remake von Fassbinders „Die bitten Tränen der Petra von Kant“ – allerdings mit einem Geschlechtertausch. Aus Petra wird Peter, weil die Story Parallelen zur Liaison zwischen Fassbinder und dem Schauspieler El Hedi ben Salem („Angst essen Seele auf“) in den 70ern aufweist. Im neuen Film verliebt sich Peter von Kant (Denis Ménochet) in Amir (Khalil Gharbia). Der große Regisseur verspricht dem jungen Mann, einen Star aus ihm zu machen. Mit zunehmendem Ruhm entfernt sich Amir jedoch von Peter, der immer mehr in Rage gerät. Peter ist also Rainer, der sich wie schon in Oskar Roehlers „Enfant Terrible“ in Hassliebe und Selbstzerstörung verliert. Ozon ehrt sein Idol mit Reminiszenzen, aber durch die Enge der kammerspielartigen Inszenierung kommt man Fassbinder so unangenehm nah, dass jegliche Sympathie verspielt wird.

Markus Tschiedert


Foto: Heike Blenk