Musik

21.04. | Album der Woche

Natalie Merchant • Keep Your Courage

Nonesuch

21.04. | Album der Woche - Natalie Merchant • Keep Your Courage

Foto: Shervin Lainez


Mut zur Liebe

Nach fast einem Jahrzehnt veröffentlicht die amerikanische Singer-Songwriterin Natalie Merchant wieder ein Albu - über die Liebe in all ihren Formen.

Ms. Merchant, hat sich die Bedeutung von »Courage«, also Mut, im Laufe der Jahre für Sie verändert?
Früher habe ich Mut als Synonym von Tapferkeit verstanden. Ein Wort, das auf dem Schlachtfeld oder bei der Rettung von einem sinkenden Schiff verwendet wird. Je älter ich wurde, desto klarer wurde mir, dass Mut auch in einer ruhigen inneren Stärke steckt, die von außen keiner sehen kann.

Sie beschreiben »Keep Your Courage« als ein »Album über das menschliche Herz«. Wie gehören Mut und Herz zusammen?
Jeder Mensch, der sich emotional auf einen anderen Menschen einlässt, macht sich verletzlich. Man riskiert Schmerz – und da kommt Mut ins Spiel. Nur mit ihm kann man Liebe wirklich erfahren.

Auf dem Album untersuchen Sie die Liebe in all ihren Gestalten – welche sind das? »Big Girls« zum Beispiel ist ein Song über die Liebe als Trost und Ermutigung; »Come On, Aphrodite« ist ein Aufruf an die Göttin der Liebe. In »Sister Tilly« geht es um schwesterliche Liebe und »Song Of Himself« beschreibt meine Liebe für Walt Whitman für seine allumfassende radikale Liebe. Verletzte Herzen, unerwiderte Liebe und exzessive, fatale Selbstliebe sind auch noch mit dabei.

Auf dem Cover haben Sie sich für ein Porträt von Jeanne d’Arc entschieden. Warum?
Ich bin sehr katholisch aufgewachsen, mit all diesen männlich orientierten Glaubenssätzen – denen zufolge die bloße Existenz der weiblichen Seele jahrhundertelang angezweifelt wurde. Als ich dann zum ersten Mal von Jeanne d’Arc hörte, wurde sie für mich zur katholischen Ikone. Jeanne d'Arc war eine Teenager-Jungfrau-Kriegerin-Heldin, die 1431 wegen angeblicher Ketzerei verbrannt wurde. Im frühen 20. Jahrhundertwurde sie dann zur Heiligen erklärt – das muss der extremste Fall von Revisionismus in der Menschheitsgeschichte sein! Aber zurück zu Ihrer Frage: Jeanne d’Arc verkörpert für mich Mut. Und ich wollte ein symbolisches Bild auf dem Cover zeigen, kein Porträt von mir selbst.

Würden Sie sich selbst als mutig beschreiben?
Früher hätte ich die Frage mit »Nein« beantwortet. Seit ich 2020 einen achtstündigen Eingriff an meiner Wirbelsäule hinter mich gebracht habe, sage ich: »Ja«.

Was inspiriert Sie?
So vieles – meine Tochter, Freunde, Fremde, mein Klavier, der Mond, ein leeres Blatt Papier, Wasser, ein neuer Liebhaber, Pflanzen, meine Küche, der Wald, Moos, japanische Stoffe, Irland, Viola da Gamba, Gewitter. Ach, so vieles!


Natalie Merchant

Natalie Merchant
Keep Your Courage

Nonesuch, 14.04.

Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass Natalie Merchant während der Pandemie – einer »schmerzhaften Zeit voller Angst«, wie sie selbst sagt – ein Album über Mut und Liebe produziert hat. Neun Originalsongs von Merchant sowie eine Interpretation von »Hunting the Wren« des Iren Ian Lynch finden sich auf »Keep The Courage« wieder. Und es funktioniert: Mit ihrer unverkennbaren Stimme lässt Natalie Merchant den Zuhörer emotional aufleben, wenn sie etwa mit Abena Koomson-Davis voller Power die Göttin der Liebe besingt.

Lydia Evers