Literatur

20.09. | Buch der Woche

Wolf Haas • Eigentum

Hanser

20.09. | Buch der Woche - Wolf Haas • Eigentum

Wolf Haas
Eigentum

Hanser
Hardcover, 158 Seiten, 22,00 €

Ein Leben „nachstricken“, ruckzuck, mit heißer Nadel, alle Maschen fallen lassen und dabei auch noch 95 Jahren gerecht werden – wie soll das gehen? Es muss aber sein, denn der Erzähler verspürt einen „inneren Zwang“ angesichts der rasch verrinnenden Zeit und nimmt sich vor: „Bis zum Begräbnis bin ich fertig, und dann bin ich es los, die Erinnerung und alles. Ein schneller Text. Und weg damit. Ein Text, der davon lebt, dass er mit dem Tod um die Wette rennt (nur noch zwei Tage)“. Na dann, raus mit dem Strickzeug und bloß keine Zeit verlieren.

Der österreichische Schriftsteller Wolf Haas beleuchtet in seinem Roman „Eigentum“ das Leben der eigenen Mutter. Zumindest wird diese autobiografische Lesart nahegelegt, genau weiß man es bei Haas ja nie. Schon in „Das Wetter vor 15 Jahren“ hat er von der Liebe zwischen einer Literaturkritikerin und einem Autor namens Wolf Haas erzählt, bereits davor – in „Junger Mann“ von 2008 – waren biografische Brösel zum Hinterherspüren gestreut. Autofiktionale Spiele beherrscht der Mann, der vor allem durch seine mittlerweile neun „Brenner“-Krimis bekannt geworden ist, teilweise mit dem großen Josef Hader verfilmt. Wahrheit oder nicht, das spielt aber auch im Falle von „Eigentum“ letztlich keine Rolle. Weil es ein faszinierendes Leben ist, dem Haas hier hinterher strickt, ausgehend vom Altenheim, in dem die fast 95-Jährige wohnt, längst an Demenz erkrankt. Die Einrichtung war früher mal die Geburtsklinik, in der die Mutter zur Welt gekommen ist. So schließen sich die Kreise.

Ihr Geburtsjahr ist 1923, es wütet die Hyperinflation. Als eines von zehn Kindern wird Marianne von den Eltern zur Pflege in eine andere Familie gegeben, es reicht einfach nicht für alle. Nach dem Krieg arbeitet die junge Frau in der Briefzensurstelle der US-Amerikaner, später lässt sie sich an einer Hotelfachschule in der Schweiz ausbilden, schickt Geld nach Hause, kehrt schließlich selbst schwanger nach Österreich zurück und träumt von einer eigenen Wohnung. Pustekuchen, schon kommt die nächste Inflation und das Ersparte ist wieder weg. Es reicht für die bald vierköpfige Familie Haas nur zur Miete von 48 Quadratmetern mit Blick auf den Friedhof. Immerhin: 1,7 Quadratmeter nennt Marianne schon zu Lebzeiten tatsächlich ihr Eigen. Eine liebevoll gepflegte Grabstätte nämlich. Wie sagt der Österreicher in solchen Fällen? „Was man hat, das hat man“.

Eine Geschichte über das Leben und Sterben der eigenen Mutter – das könnte schnell ins Sentimentale oder Prätentiöse rutschen („Der Tod meiner Mutter“ von Georg Diez lässt grüßen). Aber Haas bewahrt sich auch in „Eigentum“ die Lakonik, die seine Romane bislang ausgezeichnet hat. Zum Beispiel, wenn er über Mariannes Vorliebe für die „rhetorische Trias“ schreibt („waschen, putzen, bügeln“, „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ – und natürlich „sparen, sparen, sparen“). Oder über die österreichische Vorliebe für das Leben im Konjunktiv. Wo man nach vollbrachter Erledigung ruft: „Das hätten wir“. Oder sich beim Ankommen freut: „Da wären wir“.

Was wiederum nicht heißen soll, dass dieser großartige, am Ende natürlich kein bisschen grob gestrickte Roman nicht auch zu Herzen ginge. Es gibt sehr zärtliche Momente in „Eigentum“. Etwa, wenn die Sterbende dem Erzähler wie ein „sehr dünnes Vogerl“ vorkommt. Oder wenn er bekennt, dass der Tod der Mutter ihn gar nicht traurig stimme: „Im Gegenteil. Ich konnte zum ersten Mal in meinem Leben glauben, dass es ihr gut ging“.

Patrick Wildermann