Musik

19.11. | Album der Woche

Robert Plant & Alison Krauss • Raise The Roof

Warner · 19. November

Foto: Frank Melfi


Völlig anders und seltsam vertraut

Vor 14 Jahren überraschten Robert Plant & Alison Krauss mit dem LP-Duett „Raising Sand“. Das folkloristisch gefärbte Album kombinierte die Stärken und musikalischen Vorlieben der beiden Sänger und avancierte zum Überraschungserfolg bei Publikum und Kritik. Nun erscheint der bereits damals schon angedachte Nachfolger.

Robert Plant scheint auf sehr originelle Weise in sich selbst zu ruhen. In den vergangenen Monaten tauchte der ehemalige Led-Zeppelin-Sänger mehrfach auf dem YouTube-Kanal eines anderen berühmten Kollegen auf und brachte seine Fans zum Schmunzeln. Zu sehen ist dort, wie Plant und Brian Johnson von AC/DC durch die walisische Landschaft streifen und wie zwei zufriedene Rentner in der Sonne über Gott und die Welt schwatzen. Johnsons Gang ist etwas hüftsteif, und der einst löwenmähnige Led-Zeppelin-Frontmann scherzt, dass ihm Jeans dieser Tag nicht mehr so gut stehen wie früher. Stattdessen hat er noch einmal die Kluft eines keltischen Kriegers angelegt und das goldene Breitschwert geschultert, das vor fast 50 Jahren im Film „The Song Remains The Same“ zu sehen war. Der 73-Jährige gibt dabei ein leicht bizarres Bild ab, aus dem aber auch ein humorvoller Abstand zu sich selbst spricht – und eine verschmitzte Lebenslust, die sich der Sänger auch in der Musik erhalten hat. Davon zeugt bereits im Jahr 2007 seine erste Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Bluegrass-Legende Alison Krauss. Krauss wird ganz wesentlich dafür verantwortlich gemacht, dass das traditionelle Genre im musikalischen Kollektivbewusstsein des Landes lebendig bleibt, und zwar in einer Form, die eben nicht dem gelackten Mainstream-Country entspricht, sondern dem eigenen Anspruch auf Authentizität gerecht wird. 27 Grammys erhält die beliebte Sängerin dafür im Laufe ihrer Karriere, allein sechs davon springen für „Raising Sand“ heraus, ihre erste Zusammenarbeit mit Robert Plant. Das Album streicht seinerzeit viel Lob von der Kritik ein, denn die uneitle Paarung der beiden Vokalisten im Dienste einer beiderseits verehrten Musiktradition legt tatsächlich gemeinsame Wurzeln auf beiden Seiten des Atlantiks frei, die sich in überraschender Harmonie zueinander gesellen. „Völlig anders, seltsam vertraut, zutiefst befriedigend“, urteilt ein Rezensent und bringt damit auch die Einschätzung der meisten Hörer auf den Punkt. Seitdem sind 14 Jahre vergangen, genauso lange, wie die Karriere von Led Zeppelin einst währte. Eine bereits für damals anvisierte zweite LP konnte nie realisiert werden, weil man laut Robert Plant nicht übers Knie brechen kann, was in den Händen der Inspiration liegt. Musik wie die von Krauss und ihm habe „nichts mit Power und Posen zu tun“, sondern mit den Orten, zu denen sich die Seele begibt, wenn sie in einsamen Stunden auf Wanderschaft geht. Obwohl das neue Album bereits vor der Corona-Pandemie entstanden ist, sieht der Sänger in der globalen Ausnahmesituation die richtige Kulisse für die zwölf neuen Songs. In unsicheren Zeiten, so seine Argumentation, kehrt der Mensch zu seinen Wurzeln zurück, und das sind in seinem Fall eben die amerikanische Roots-Musik und die britischen Folk-Traditionen, die sich schon in den Fundamenten des Led-Zeppelin-Sounds gefunden hatten. Dass die bis in die Moderne reichen, zeigt sich bereits im Opener des Albums, der gleichzeitig auch die Keimzelle der erneuten Zusammenarbeit ist. Alison Krauss hört „Quattro (World Drifts In)“ zum ersten Mal im Autoradio und ist gefesselt vom Text des Stücks. Er handelt von mexikanischen Migranten, die für einen illegalen Grenzübertritt in die USA alles riskieren. Im Original stammt der Song von der auch hierzulande beliebten Americana-Band Calexico, und obwohl er erst knapp 20 Jahre alt ist, klingt er wie ein Klassiker. Und damit genau so, wie sich Plant und Krauss ihre neue Platte insgesamt vorstellen. „Raise The Roof“ wurde genau wie sein Vorgänger von T Bone Burnett in Nashville produziert und enthält größtenteils Coverversionen von Songs, die eine gewisse Lust an musikalischer Archäologie verraten. Darunter sind Stücke von Anne Briggs und Bert Jansch, aber auch von Merle Haggard und Allen Toussaint, die für die Dauer einer LP alle an einem großen gemeinsamen Tisch Platz nehmen. Zwei Titel steuern die beiden Musiker selber bei und schmuggeln sich damit in ein transatlantisches Songbook, in dem Zeit und Raum ansonsten keine Maßstäbe sind. Es könnte demnächst eng werden im Grammy-Regal.

Robert Plant & Alison Krauss
Raise The Roof

Warner – 19. November

„Raise The Roof“ setzt den interkontinentalen Flirt mit Folk, Blues und Country fort, den Robert Plant und Alison Krauss auf ihrem Erfolgsalbum „Raising Sand“ begonnen hatten. Respektvoll und zurückhaltend, aber gleichzeitig sehr gut bei Stimme widmen sie sich der Neuinterpretation teils obskurer Klassiker, wobei sie erneut von der Band um Gitarrist Marc Ribot und Schlagzeuger Jay Bellerose unterstützt werden. In der Eigenkomposition „High And Lonesome“ klingt kurz der Geist von Led Zeppelin an, ansonsten reichen die Einflüsse weiter zurück. Zwei Album-Highlights stammen aus der Feder von zwei sehr unterschiedlichen Frauen. „Go Your Way“ rückt die Songwriterin Anne Briggs in den Fokus, die seit Jahrzehnten in Abgeschiedenheit lebt. Über die Blues-Pionierin Geeshie Wiley ist außer ihrem Song „Last Kind Words“ so gut wie gar nichts bekannt.

Markus Hockenbrink