Literatur

19.09. | Buch der Woche

Winnie M Li • Nein

WINNIE M LI

Nein

Arche • 31. August


Dunkles Kapitel

Winnie M Li widmet ihren Debütroman der Vergewaltigung, die ihr gesamtes Leben veränderte. In „Nein“ schreibt sie nicht nur aus der Sicht des Opfers, sondern auch aus der des Täters.

Was motivierte Sie, in Ihrem ersten Roman eine so traumatisierende Erfahrung zum Thema zu machen?

Ich bin Schriftstellerin, das bedeutet, Schreiben ist das, was ich tue, um Dinge zu verstehen. Zuerst habe ich nur für mich alles aufgeschrieben und wäre nie in der Lage gewesen, daraus einen Roman entstehen zu lassen. Erst fünf Jahre nach der Vergewaltigung habe ich begriffen, dass es sich dabei um eine wichtige Geschichte handelt, eine, die erzählt werden sollte. Es gibt einiges an Literatur aus der Sicht von Opfern, die mir sehr geholfen hat. Ich aber wollte meine Geschichte aus beiden Perspektiven erzählen, meiner eigenen und der des Täters. Mir war es wichtig zu zeigen, wie sich zwei Leben in diesem einen, gewaltvollen Moment kreuzen.

Wie schafft man es, dabei die Perspektive des Täters einzunehmen?

Ich habe ihn einfach als menschliches Wesen betrachtet, denn am Ende sind wir das alle. Niemand wird als Vergewaltiger geboren. In nur 15 Jahren wurde aus einem unschuldigen Menschen jemand, der fähig ist, so eine Tat zu begehen. Dieser Entwicklung galt auch mein Hauptinteresse, als ich seinen Charakter entwickelt habe: Was in seinem Leben hat dazu geführt, dass er andere Menschen so behandelt? Ich glaube, es ist wichtig zu erkennen, dass vor allem Momente der Schwäche und Unsicherheit dazu führen, dass Menschen sich in eine solche Richtung entwickeln.

In einem Interview sagten Sie einmal, dass die Gesellschaft noch keinen Weg gefunden habe, über sexuelle Gewalt zu sprechen. Welche Strategien können helfen, den gesellschaftlichen Umgang mit diesem sensiblen Thema zu verbessern?

Das ist einer der Gründe, aus dem ich meinen Roman geschrieben habe: Ich möchte das Thema im öffentlichen Raum zur Sprache bringen. Natürlich gibt es so etwas wie die #MeToo-Bewegung, aber in einem Tweet beispielsweise kann nur ein begrenzter Inhalt transportiert werden. Ich glaube, es ist sehr wichtig, noch umfassender und nachhaltiger auf diese Thematik aufmerksam zu machen. Momentan ist es so, dass Menschen oft Phrasen wie „Vielleicht hättest du nicht so viel trinken sollen“ benutzen und damit jede Diskussion im Keim ersticken. Diese Art des Victim-Blamings, also des Mangels an Verständnis und Offenheit gegenüber den traumatisierten Opfern, sorgt dafür, dass sich diese häufig nicht trauen, über die Verbrechen zu sprechen. Es müssten viele Reformen durch die Justiz vorgenommen werden. Wenn es zum Prozess kommt, ist dieser für das Opfer eine Art sekundäres Trauma: all die Untersuchungen und die Kreuzverhöre vor Gericht. Auch das wollte ich mit meinem Roman zeigen.

Glauben Sie, es mangelt generell an Möglichkeiten, Hilfe zu bekommen?

Es gibt schon einige sehr gute Anlaufstellen für Opfer sexueller Gewalt. Aber die Finanzierung dieser Stellen ist sehr schwierig. Oft wird nicht erkannt, wie wichtig die spätere Unterstützung für die Opfer ist. Die beeinflusst nämlich, wie und ob sich jemand von dem Trauma erholen kann und die Kontrolle über sein Leben zurückerlangt.

Interview: Marina Mucha


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