Musik

18.08. | Album der Woche

PJ Harvey • I Inside The Old Year Dying

18.08. | Album der Woche - PJ Harvey • I Inside The Old Year Dying

Foto: Steve Gullick


Sven Regener, Sänger und Texter der Gruppe Element Of Crime, sagte in seinem jüngsten GALORE-Interview in der Ausgabe 58, Geschichten und Lieder mit Tieren seien nicht umsonst beliebt, schließlich könne man in Tiere immer etwas hineinlesen, verbunden mit dem großen Vorteil, dass sie einem nicht widersprechen. Auch PJ Harvey, Englands große und kunstvolle Song-Poetin, weiß um die Wirkungskraft von Tierliedern. Weshalb ihre neuen Songs gleich eine Reihe von kleineren und größeren Tieren bevölkern. Der Song A Child’s Question, August zum Beispiel ist ein sehr ruhiges Lied über diverse Vögel (sowie über Elvis Presley, der ja auch nicht mehr widersprechen kann), das Titelstück des Albums mit dem philosophischen Titel I Inside The Old I Dying (nicht zu verwechseln mit dem Titelstück I Inside The Old Year Dying) spielt in der Welt der Frösche und Kröten. Dort wartet die Protagonistin des Songs auf eine Art Flora-und-Fauna-Messias wartet, den sie „Wyman“ nennt – ein Name, der schon in ihrem Buch „Orlam“ auftauchte, einer in Versform erzählten Geschichte über das Mädchen Ira-Abel und ihre schauerlichen und verzauberten Erlebnisse in den dunklen Wäldern der Grafschaft Dorset. Das ist die ländlich geprägte Gegend von England, in der Polly Jean Harvey vor 53 Jahren geboren wurde und ihre Kindheit verbrachte.

Man merkt schnell, dass das neue Album der Britin (das erste nach sieben Jahren, unterbrochen nur von Soundtrack-Arbeiten) keine gewöhnliche Rockplatte ist. Was ja auch seltsam wäre bei dieser Künstlerin, die im Laufe ihrer Karriere manche Erwartungshaltung nicht erfüllt hat, immer in Sinne der künstlerischen Ambition. Ihr bis dahin letztes Album The Hope Six Demolition Project war 2016 eine recht konfuse Politik-Platte geworden, mit einigen historischen Unschärfen. Die Natur-Lyrik auf I Inside The Old Year Dying passt besser, zumal PJ Harvey hörbar Freude daran hatte, den fabelhaften Erzählungen eine Musik zu geben, die dieser jenseitigen Atmosphäre entspricht. Das Album klingt sehr leise, die Singer/Songwriterin singt häufig sehr hoch, die Instrumentierung entspricht der Stimmung in einem Märchenwald in tiefster Nacht. Wichtig für den Genuss des Albums: Hinter den Türen verstecken sind großartige Melodien. Manchmal muss man sie ein wenig suchen oder sich ihnen öffnen. Dann aber vergisst man sie so schnell nicht wieder – ein Umstand, der I Inside The Old Year zu einem sehr nachhaltigen Album macht, was wiederum sehr gut seiner Nachhaltigkeitsambition passt.


PJ Harvey - I Inside PJ Harvey
I Inside The Old Year Dying

Partisan

  1. Juli

Ihre Fans schätzen PJ Harvey dafür, dass man bei ihr nie weiß, was man bekommt. Nach zuletzt zwei dringlichen und konkreten Polit-Platten über den Verfall Großbritanniens und Europas hat sich die Dichterin aus Dorset nun wieder in den Wald zurückgezogen. Dort hatte sie schon einmal Station gemacht, 2007, bei ihrem wunderbaren Grusel-Album White Chalk. War dieses Album ein Kammerspiel, wirkt I Inside The Old Year wie der Soundtrack zu einer Nacht allein im Wald. Wobei, allein ist man dort ja nie, bei allem, was da kreucht und fleucht…

André Boße