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18.02. | Heimkinotipp der Woche
Niemals Selten Manchmal Immer
Universal Pictures · 11. FebruarUnausgesprochene Gefühle
In »Niemals Selten Manchmal Immer« erzählt die Arthouse-Regisseurin Eliza Hittman beinahe dokumentarisch von dem Versuch einer Jugendlichen, eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Ein kleines Meisterwerk, das auf der Berlinale 2020, wo Hittman uns Rede und Antwort stand, den Großen Preis der Jury erhielt.
Miss Hittman, das Recht auf Abtreibung war
schon eines der dominierenden Themen der
Frauenbewegung in den 70er- und 80er-Jahren.
Man kann kaum glauben, dass wir heute
immer noch damit beschäftigt sind...
Genau deswegen wollte ich » Niemals Selten
Manchmal Immer « drehen. Auch um daran
zu erinnern, dass die Möglichkeit einer Abtreibung
immer noch keine Selbstverständlichkeit
ist. Das kann man in New York City durchaus
vergessen, denn dort stehen einem meist alle
Möglichkeiten offen. Die Nöte und Sorgen der
anderen bekommt man nicht immer mit. Doch
die gibt es eben auch bei uns, auch heute noch.
Die Hürden, mit denen man als Frau in den
USA in Sachen Fortpflanzungsgesundheit zu
tun hat, sind zahlreich. Für eine Abtreibung
muss eine Frau durchschnittlich mindestens
80 Kilometer fahren. Und jeder Bundesstaat hat
andere Regeln, was es erschwert, den Überblick
zu behalten. Selbst für eine legale Abtreibung
stehen den Frauen so viele Hindernisse im
Weg, die nicht selten entmutigend wirken.
Genau davon wollte ich erzählen.
Ist es aufgrund der Thematik schwierig gewesen,
»Niemals Selten Manchmal Immer«
überhaupt umsetzen zu können?
Ich machte mir keine Illusionen, dass es einfach
werden würde. Es ist ja immer schwierig,
eine unabhängige Produktion auf die Beine
zu stellen, denn wo auch immer man einen
Geldtopf auftut, gehört der zu jemandem, der
Befindlichkeiten hat. Wir klopften bei vielen
Fonds und Firmen an, bei denen wir zu hören
bekamen, dass die Ölindustrie dahinterstecke
– und die habe kein Interesse an einem Projekt
wie unserem. Man denkt immer, Hollywood sei
diese liberale Blase. Aber das Geld, von dem die
Filmindustrie lebt, kommt im Gegenteil nicht
selten von konservativen Entscheidungsträgern.
Hinzu kam als Schwierigkeit, dass es heutzutage
viele Vorbehalte gegen sogenannte Themenfilme
gibt. Dabei würde ich meine eigene Arbeit
so natürlich nie bezeichnen, sondern denke,
dass ich einen sehr menschlichen Film rund
um gesellschaftliche Schwierigkeiten gedreht
habe, mit denen man unterhalb des obersten
Prozent des Vermögensspektrums zu tun hat.
Ihre Filme leben selten von den Dialogen, das
Unausgesprochene ist meist viel wichtiger.
Gleichzeitig arbeiten Sie viel mit jungen, unerfahrenen
Schauspielern zusammen. Ist das
bisweilen kompliziert?
Nicht für mich, nein. Viele Leute denken, es
sei beim Drehbuchschreiben wichtig, die Geschichte
möglichst über Dialoge zu vermitteln,
doch das hat mich noch nie interessiert. Das
fühlt sich für mich immer an wie Fernsehen.
Kino ist für mich ein visuelleres Medium, da
spielen Mimik, Verhalten und Blicke eine viel
größere Rolle. Wenn ich schreibe, nehme ich
immer eher Dialogsätze weg, anstatt neue hinzuzufügen,
denn Gefühlszustände lassen sich
auch gut über das transportieren, was nicht
gesagt wird.
Und das bekommen Laien auf Anhieb hin?
Man muss sich natürlich beim Casting Mühe
geben. Mit der Besetzung steht und fällt ein
Film wie »Niemals Selten Manchmal Immer«.
Entsprechend sorgfältig muss man sein, gerade
wenn man junge Menschen castet. Viele sind
noch so ungeformt und tragen so wenig Lebensgeschichte
in sich, dass sie manchmal zu
glatt wirken. Deswegen muss man Glück haben
und jemanden wie Sidney Flanigan finden, die
optisch nicht zu unkompliziert ist und bereits
eine innere Welt in sich trägt, die man durch
die Kamera sehen kann.
Dies ist Ihr dritter Spielfilm und zum dritten
Mal beschäftigen Sie sich mit Minderjährigen.
Finden Sie Teenager als Protagonisten
spannender als Erwachsene?
Das würde ich so nicht formulieren. Aber die
Jugend ist schon ein sehr faszinierender Lebensabschnitt.
Was wir als junge Menschen
erleben, formt unsere Identität schließlich auf
einschneidende Weise. Selten steht man auf seinem
Lebensweg an so vielen schwierigen Kreuzungen
und selten ist man so verletzlich. Wobei
ich denke, dass dieser mein vorerst letzter Film
über Teenager war. Nicht dass ich schon wüsste,
was als nächstes kommt. Aber drei solcher
Filme reichen erst einmal.
Foto: Focus Features
Interview: Patrick Heidmann
Als die 17-jährige Autumn in der Provinz Pennsylvania schwanger wird, möchte sie ohne das Wissen ihrer Eltern abtreiben. Möglich ist das nur in New York, und so bricht sie heimlich, mit ihrer Cousine an der Seite und kaum Geld in der Tasche, dorthin auf. So relevant Hittmans Geschichte ist – nicht zuletzt im Kontext der Trumpschen Präsidentschaft –, so zurückhaltend und wenig reißerisch setzt sie sie in Szene. Vom ersten bis zum letzten Moment atmet diese berührende Mischung aus Sozialdrama, Coming- of-Age-Story und Road Movie Wahrhaftigkeit. Sie erzählt nicht nur von zwei sehr unterschiedlichen Welten in den USA, sondern auch von Solidarität unter Mädchen. Schauspieldebütantin Sidney Flanigan in der Hauptrolle und Talia Ryder als ihre Cousine leisten dabei Bemerkenswertes. Fraglos einer der besten Filme des vergangenen Jahres!
Niemals Selten Manchmal Immer
Universal Pictures, 11. Februar