Musik

18.02. | Album der Woche

alt-j • The Dream

Warner

Foto: George Muncey


Gipfel der Erwartungen

Privat haben zwei Drittel von alt-J als Familienväter Wurzeln geschlagen. Musikalisch bleibt das Trio, so verrät Frontmann Joe Newman, zum Weinen schön.

Mr. Newman, was ist Ihr größter Traum?
Es klingt abgedroschen, aber: meine Tochter glücklich und von Liebe umgeben aufwachsen zu sehen.

Und abseits Ihres Familienlebens?
Da geht es um offensichtliche Dinge wie die Reduzierung von Plastik. Es wäre auch cool, wenn die Kapitäne der Luftfahrtindustrie herausfinden würden, wie man Flugzeuge mit elektrischem Antrieb baut. Beruflich wünsche ich mir, dass ich möglichst lange weiter Musik machen kann.

Leben Sie immer noch Ihren Traum?
Ja, wobei sich auch Berufe, die in den Augen vieler Menschen als entspannter Traumjob angesehen werden, in der Realität nach Arbeit anfühlen. Aber dann frage ich mich immer: „Was würde ich lieber machen?“ – und habe darauf nie eine Antwort. Dass ich als Unternehmer andere Menschen einstellen und ein Arbeitsumfeld schaffen kann, in dem sich alle wohlfühlen, ist außerdem sehr schön. Das bedeutet mir viel. Ich befinde mich also quasi auf dem Gipfel meiner Erwartungen, weil ich in der Lage bin, diesen Lebensstil zu führen.

Mit „Get Better“ haben Sie Ihren Bandkollegen Gus zum Weinen gebracht. Auch ein Traum?
Nein. Aber es war schon ein eindeutiger Beleg für die Kraft des Songs, der für ihn wie ein Katalysator war, um sich mit den Schwierigkeiten auseinanderzusetzen, die er zu dieser Zeit im Leben hatte. Es mag seltsam klingen, aber ich habe selbst bereits beim Schreiben des Songs geweint. Er ist während einer schwierigen Phase der Pandemie entstanden, in der viele ihre Liebsten verloren haben.

In einem Interview meinten Sie kürzlich, dass es Sie fast beschämt, einen solchen Song zu schreiben, ohne diese Gefühle selbst durchlebt zu haben.
Weil der Text so viele detaillierte Szenen schildert, war mir klar, dass man mich fragen würde, ob er autobiografisch sei und ich hatte fast schon Angst, das verneinen zu müssen. Ich fühlte mich wie ein Betrüger. Mittlerweile bin ich anderer Meinung, denn man singt häufig über die Dinge, die einen am meisten faszinieren. Ich verarbeite in „Get Better“ meine größte Angst: Die unvermeidbare Situation, einen geliebten Menschen zu verlieren. Für mich ist das ein Bewältigungsmechanismus. Die Konfrontation mit dieser Angst ist kathartisch und der Song im Umkehrschluss eine hilfreiche Ressource, die vielleicht auch anderen Menschen bei der Bewältigung ihrer Gefühle helfen kann.


alt-J
The Dream

Infectious / Warner, 11. Februar

Oper, Akustik-Ballade, bluesige A-capella-Chöre oder barocke Hymnik. alt-J können einfach alles. Nicht nur musikalisch schlägt das Trio auf „The Dream“ selbstverständlich Haken und verbindet ohne Mühe Klänge miteinander, die sich auf der Soundpalette diametral gegenüberstehen. Auch inhaltlich spannen die Briten den Bogen von Coca-Cola über Kryptowährung bis hin zu dem Verlust eines geliebten Menschen. Mit „The Dream“ beweisen alt-J, dass sie auch nach 15 Bandjahren weiterhin zu den innovativsten Bands des Indie-Universums gehören.

Katharina Raskob