Literatur

17.11. | Buch der Woche

Imbolo Mbue • Wie schön wir waren

Kiepenheuer & Witsch

Die Ignorierten

Die amerikanisch-kamerunische Schriftstellerin Imbolo Mbue lässt in ihrem zweiten Roman ein afrikanisches Dorf von seinem Kampf gegen Ausbeutung und Verrat berichten.

»Wir hätten wissen müssen, dass das Ende nahte«, räumen die Stimmen von Kosawa gleich zu Beginn ein. Waren sie zu naiv, dass sie das Unvermeidliche nicht haben kommen sehen? Oder zu gutgläubig jenen gegenüber, die behaupteten, dass sich die Geschichte noch auf ihre Seite schlagen würde? Es sind solche Fragen, die in den Vordergrund dieser sich über Jahrzehnte erstreckenden Geschichte drängen. »Wie schön wir waren« handelt von den verschiedenen Phasen des Widerstands einer wortwörtlich aussterbenden Gemeinschaft, deren Lebensgrundlagen von dem amerikanischen Ölkonzern Pexton zerstört werden – und die zur Hälfte von jenem kollektiven Wir erzählt wird, das gleich zu Beginn einräumt, sich getäuscht zu haben. Es sind die Kinder und Kindeskinder dieser Gemeinschaft, die im Kampf gegen Zerstörung und Korruption offenbar ebenso gescheitert sind wie ihre Vorfahren. Die gesellschaftspolitischen Umstände und die Verhältnisse des Raubtierkapitalismus haben ihren Kampf aussichtslos gemacht. Imbolo Mbue gehört zu jenem Kreis, den die britisch-nigerianische Autorin Taiye Selasi als »Afropolitan« beschreibt. Gemeint ist eine neue Generation von Weltbürgern mit afrikanischen Wurzeln, wie Chimanda Ngozi Adichie, Nana Oforiatta Ayim, Teju Cole oder Chigozi Obiama. Ihre gesellschaftspolitischen Romane reflektieren dezidiert afrikanische Themen. Mbue kombiniert diese mit Fragen der Globalisierung. In ihrem sprachlich und erzählerisch glänzenden Debüt »Das geträumte Land« geht es um eine Familie aus Kamerun, die unter die Räder der Lehman-Pleite gerät. Der neue Roman der 1982 in Limbe geborenen und in New York lebenden Autorin behandelt Fragen von Umweltzerstörung, Ausbeutung, Korruption und Trauma. Weil Mbue weiß, dass kollektive Klagen über politische Skandale in Entwicklungsländern schnell verhallen, hat sie 15 Jahre lang am Text gefeilt. Über die persönlichen Perspektiven und Schicksale einer Handvoll Figuren macht sie politische Strukturen nachhaltig erfahrbar. Thula etwa erlebt als junges Mädchen, wie ihr Vater seinen Einsatz für die Gemeinschaft mit dem Leben bezahlt. Als junge Studentin in den USA wird sie den Aufstand ihres Heimatdorfes anleiten. Im Laufe des Romans kommen auch ihre Großeltern, Eltern und ihr Onkel zu Wort. Deren Erinnerungen machen die persönlichen Motive und Traumata, das Menschliche hinter der Politik, greifbar. Mbue bleibt eng bei ihrem Personal, bewahrt durchgängig ihren befremdeten Blick auf die ausbeuterische Moderne. Zwischen den persönlichen Perspektiven ihrer Figuren und der kollektiven Erinnerung der Kinder entsteht ein flirrendes Spannungsverhältnis, in dem Vergangenheit und Gegenwart, Tradition und Moderne, Patriarchat und Emanzipation, Macht und Ohnmacht, Idealismus und Ernüchterung miteinander verbunden werden. Die Tradition der mündlichen Überlieferung, in die sich die Geschichte stellt, wird auch in der gelungenen Übersetzung bewahrt. »Wie schön wir waren« ist in der Vergangenheitsform geschrieben – und lässt uns verstehen, woher die Enttäuschung in vielen afrikanischen Gesellschaften kommt.

Imbolo Mbue
Wie schön wir waren

Kiepenheuer & Witsch, 448 Seiten

Thomas Hummitzsch