Literatur
17.01. | Buch der Woche
Durs Grünbein • Der Komet
SuhrkampDurs Grünbein
Der Komet
Suhrkamp
Hardcover, 286 Seiten, 25,00 €
Die Liliengasse in Dresden liegt ziemlich genau zwischen Hauptbahnhof und Zwinger. In der Nummer 4 wohnte in den 30er und 40er Jahren Dora W., vom allwissenden Ich-Erzähler in diesem Buch auch liebevoll »Omi Dorle« genannt. Der in Dresden geborene Lyriker, Essayist und Büchner-Preisträger Durs Grünbein hat ihre Geschichte nachgezeichnet. Mit 16 Jahren kommt sie aus einem Dorf in Schlesien in die sächsische Metropole, wo Verlorenheit und Hybris der Nationalsozialisten mehr und mehr den Alltag der Menschen bestimmen. Vor dem Hintergrund des Dritten Reiches und dem heraufziehenden Krieg erzählt Grünbein die Lebensgeschichte einer Frau aus einfachen Verhältnissen, die fern ihrer Heimat mit dem Schlachtermeister Oskar eine Familie gründet und versucht, ein Leben inmitten weltumstürzender Umstände zu führen. Während ihr in Museen und Kinos die Hochkultur begegnet, tun sich auf Dres- dens Straßen und in den Köpfen der Menschen Abgründe auf. Oskar muss an die Front und am 13. Februar 1944 geht ein Flammenmeer auf die Stadt nieder. Das Wort »Roman« sucht man auf dem Buchumschlag vergeblich, vieles spricht für eine autobiografisch motivierte Rekonstruktion von Stadt- und Familiengeschichte. Mit unheimlicher Menschlichkeit und Wärme betreibt Grünbein hier literarisches Kintsugi. Golden lässt er seine Sprache zwischen die Brüche der Erinnerungen fließen und formt daraus diese Geschichte, die eindrucksvoll und lebendig vom Leben der kleinen Leute in dunklen Zeiten erzählt.
Thomas Hummitzsch