Kino

16.09. | Kinostarts der Woche

Foto: Sammy Hart


Je suis Karl
Pandora, 16. September

Als „Je suis Charlie“ nach dem Anschlag auf das Satireblatt Charlie Hebdo in die Welt getwittert wurde, war die Tragweite des Slogans nicht abzusehen. Aus einer Solidaritätskundgebung entwickelte sich ein Symbol für Freiheit. Vor Missbrauch gefeit ist jedoch keine Idee. Christian Schwochow stößt mit „Je suis Karl“ ins dunkle Herz einer perfiden deutsch-französischen Allianz vor. An der Spitze der rechtsintellektuellen Jugendbewegung „Re/Generation“ steht Karl, ein charismatischer Anführer, dessen höchstes Ziel es ist, „sinnvoll zu sterben“. Während Karl den Tod als Joker in seinem ideologischen Plan einsetzt, versucht Maxi, den tödlichen Anschlag auf ihre Familie zu verarbeiten. Schwochows Vexierspiel zwischen Gefühl und Ratio entblößt unser aller Anfälligkeit für Manipulation. Rechter Rap und hippiesker Liebestaumel sind Teil einer Ästhetik des Bösen, die ihr wahres Gesicht lediglich im hämmernden Bass, dem dröhnenden Chor der Einpeitscher und den blitzkriegartigen Bildwechseln zeigt.

Ute Cohen


Herr Bachmann und seine Klasse
Grandfilm, 16. September

„Es sind ja nur 10 Prozent, die ich so machen muss, wie es vorgesehen ist. Beim Rest hab‘ ich freien Handlungsspielraum.“ Der, der das sagt, ist Musiker, ein bisschen Künstler und jonglieren kann er auch. Aber vor allem ist Dieter Bachmann Lehrer. Seine 6b einer Gesamtschule im hessischen Stadtallendorf kommt regelmäßig in den Genuss all seiner Talente. Im Gegenzug bekommt er die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Schüler. Meistens jedenfalls. Dreieinhalb Stunden dauert die Doku von Regisseurin Maria Speth über „Herrn Bachmann und seine Klasse“. Der Titel ist Programm, und das ist bei einem Typen wie Bachmann – bunte Wollmütze, AC/DC-Shirt, kurz vor der Rente – ausgesprochen unterhaltsam. Hat er zu Beginn seiner Karriere noch mit seinem Beruf gehadert, ist er über die Jahre weise geworden – und trotzdem noch Idealist. Während er das erzählt, hält er einen pubertierenden Haufen aus 12 Nationen in Schach. So souverän, dass ihm die Herzen und Preise des Berlinale-Publikums und der Jury zuflogen.

Edda Bauer


Atomkraft Forever
Camino, 16. September

Eine Geisterstadt postapokalyptischen Ausmaßes – wer damit Science Fiction verbindet, muss nur in das Umland von Greifswald fahren, dorthin, wo ein ehemaliges Atomkraftwerk noch über Jahrzehnte hinweg zurückgebaut werden muss. Eine Industrie, vielleicht ein ganzes Zeitalter, wird lautlos abgewiegelt. In Frankreich ist die spätestens seit Fukushima verstärkt ins Fadenkreuz der öffentlichen Kritik geratene Nukleartechnik hingegen im Aufwind begriffen, gilt sie doch trotz aller Risiken als CO²-arm. Dabei ist die Frage nach der Endlagersuche bis heute ungeklärt. Wie die Praxis hinter diesen politisch hochparadoxen Vorgängen aussieht, beleuchtet die eindrucksvolle Dokumentation „Atomkraft Forever“ von Carsten Rau, der ein breites Stimmenspektrum von Ingenieuren, Aktivisten und Bürgern einfängt. Am Ende dieses Panoramas steht das Bild eines Mannes in einem überdimensionalen Verwaltungsgebäude. Die Kamera zoomt weg und wir wissen: Die Lösung des Atomproblems wird noch Generationen überdauern.

Björn Hayer