Literatur

14.02. | Buch der Woche

Dirk von Lowtzow • Aus dem Dachsbau

AusdemDachsbauDIRK VON LOWTZOW

Aus dem Dachsbau

Kiepenheuer & Witsch • 192 Seiten

Was an Tocotronic-Songs prismenhaft und mysteriös ist, ist es im literarischen Alphabet ihres Sängers und Texters Dirk von Lowtzow auch. „Aus dem Dachsbau“ ist ein Tage- und Nächtebuch.

Herr von Lowtzow – bringt ein Buch mit autobiografischen Zügen mehr Nähe oder mehr Abstand zu sich selbst?

Mit Distanz oder Nähe zu mir hat das Buch weniger zu tun. Es ist eher eine Erfahrung, die man mit dem Text und der Sprache selbst macht. Als ich Mitte 2016 mit „Aus dem Dachsbau“ angefangen habe, hatte ich schnell das Gefühl, die Sprache diktiert mir, was ich zu schreiben habe. Was sich da über die Jahre in meinem Kopf angesammelt hatte, kam sehr ungefiltert aus mir heraus und bestimmte auch meinen Denkfluss. Das musste dann nur noch geordnet werden, in diesem Fall nach dem Ordnungsprinzip der Enzyklopädie, dem ABC.

Ihr literarisches Ich ist ein Mann der strengen Meinungen. Er mag das Rauchen, Coca-Cola, das Horten von Toilettenpapier, Dachse, Füchse und andere Tiere des Waldes sowie Comics und Science-Fiction-Geschichten. Bahnreisen, Kalkrückstände, Staub und Krümel lehnt er dagegen ab.

Ich hatte immer schon starke Meinungen, und teilweise leide ich auch darunter, weil ich aufgrund dieser Meinungen voreingenommen bin und dazu neige, zu antizipieren. Selbst den besten Freund meiner Jugend wollte ich zunächst gar nicht kennenlernen, weil ich gehemmt war oder Vorbehalte hatte. Das treibt mich also schon seit jeher um.

Speziell die Passagen, die um diesen Freund kreisen, wirken dagegen intim, zärtlich. Und Sie greifen den biografischen Ansatz auf, der auch das letzte Tocotronic-Album, „Die Unendlichkeit“, kennzeichnet.

Das Intime ist ebenfalls etwas, das sich automatisch ausdrückt, wenn man schreibt, und das man dann auch zulassen muss. Es ist aber nicht in dem Sinne intentional gewesen, als dass ich dachte, ich müsse jetzt beim Schreiben die Hosen runterlassen. Weil es trotzdem passierte, scheint es etwas zu geben, das hinausdrängt, das ich aufgeschrieben haben möchte. Mich stört nicht, dass es die Grenzen der Privatheit einreißt und die Leserinnen und Leser berührt. Ich fände es nur unangenehm, wenn es belästigen würde, denn das ist etwas, das ich selber nicht sehr schätze. Daher hoffe ich, dass es zwischen den Zeilen auch noch eine Art von Diskretion gibt, die es möglich macht, beim Lesen Genuss zu empfinden. Ansonsten fand ich die Offenheit wichtig für mich. Sie war zwar stellenweise schmerzhaft, aber auch sehr interessant.

Und sie sorgt für durchaus witzige Stellen, die nicht jeder von Ihnen erwartet hätte.

Das freut mich. Ich denke, dass das Buch teilweise sehr dunkel grundiert und auch von einer gewissen Traurigkeit erfüllt, andererseits aber auch lustig ist. Humor ist etwas, das in genau diesen Phasen der Getriebenheit hilft. Dass man mal zurückblickt und sieht, dass sein Verhalten auch etwas Komisches hat. Darüber hinaus hat das Schreiben etwas enorm Heilsames, weil man dadurch die Zeit überlisten kann. Zeit ist etwas, das ich immer als Gegner empfunden habe, in dem Sinne, dass es immer zu viel Zeit gab und damit die Frage, wie ich sie nutzen kann. Daher kommt auch das Getriebene, was die letzten 25 Jahre mit Tocotronic angeht.

Neben den unterschiedlichen Texten enthält das Buch auch kleine Zeichnungen. Stammen die aus Ihrer Schulzeit?

Die Zeichnungen sind tatsächlich zusammen mit den Texten entstanden, aber sie sind angelehnt an solche, die ich schon damals angefertigt habe. Mit 14, 15 habe ich in langweiligen Schulstunden sehr exzessiv Comics gezeichnet. Leider sind weder ich noch meine Eltern große Sammler; ich habe daher keine Archive von alten Schulheften oder Ähnlichem. Deswegen habe ich versucht, meine Dachs-Figur von damals und das Setting, in dem sie sich bewegt, noch einmal aus dem Gedächtnis abzurufen. Auch das war eine Art Zeitmaschinenprozess, denn die Art, wie sich die Figur zeichnet, ist nach wie vor irgendwie drin.

Das klingt nach einem Paralleluniversum, in dem Dirk von Lowtzow statt Musiker Comiczeichner geworden ist.

Ja, im Zuge der Arbeit an diesem Buch habe ich mich wieder daran erinnert, dass es für mich als jungen Jugendlichen zwei große Träume gab, die sich immer abgewechselt haben. Der eine war, Rockmusiker zu werden, so wie es auch im Song „Electric Guitar“ beschrieben wird. Und der andere war, Comiczeichner zu werden. In der Schule war ich ein wahnsinniger Comicfan, was auch an der Zeit lag, in der ich aufgewachsen bin. Damals wurden Comics zum ersten Mal auch in Deutschland als Kulturgut wahrgenommen und nicht nur als Schundheftchen. Und es gab die ersten Übersetzungen fantastischer und erotischer Comics aus Frankreich, die mich gleichzeitig fasziniert und verstört haben.

Die Faszination mit den Comics ist mit dem Älterwerden aber abgeklungen?

Ja, das muss ich leider zugeben. Comiczeichnen ist einfach sehr viel Arbeit. Und meine Karriere als Comiczeichner ist letztlich auch daran gescheitert, dass ich alles, was mit technischem und räumlichem Zeichnen zu tun hat, mal abgesehen von angedeuteten Landschaften, nicht beherrschte. Für perspektivisches Zeichnen bin ich total unbegabt, und ich habe schon als Jugendlicher gemerkt, dass ich mir das wohl auch nicht aneignen kann. Aber Figuren? Die kann ich immer noch entwickeln.

Interview: Markus Hockenbrink