Literatur

13.09. | Buch der Woche

Sophie Passmann • Pick Me Girls

Kiepenheuer & Witsch

13.09. | Buch der Woche - Sophie Passmann • Pick Me Girls

Sophie Passmann
Pick Me Girls

Kiepenheuer & Witsch
Hardcover, 224 Seiten, 22,00 €

Mit wenigen Worten umschreibt der Satz »Ich bin nicht so wie andere Frauen« das Konzept des sogenannten »Pick Me Girl« und macht zugleich deutlich, wo hier der Hase im Pfeffer liegt: Nicht speziell in der Abgrenzung zu, sondern vor allem in der Abwertung von anderen Frauen. Meint: Verhaltensweisen, die als stereotyp-weiblich gelten, werden abgelehnt. Ziel ist es dabei, männliche Wertschätzung zu erlangen. Popkulturell lässt sich der Begriff auf eine Szene in der Krankenhaus-Serie »Greys Anatomy« zurückführen. Dort will Meredith Grey – diese befindet sich zu besagtem Zeitpunkt noch in der Ausbildung zur Ärztin – Chefarzt Derek »McDreamy« Shepherd mit den Worten »Nimm mich, wähl mich, lieb mich!« für sich gewinnen. Unlängst hat dieses Phänomen seinen Weg in soziale Netzwerke wie TikTok gefunden. Autorin Sophie Passmann hat diesem Thema nun ein ganzes Buch gewidmet. In diesem seziert sie nicht nur den männlichen Blick, sondern setzt sich auch kritisch mit der Frage auseinander: Welche Rolle spielt man selbst bei der Aufrechterhaltung eines Systems, das Frauen gesellschaftlich abwertet? Dabei sieht Passmann das Buch weder als feministisches Kampfwerk noch als Autobiographie, das macht sie bereits zu Anfang der Lektüre deutlich. Und trotzdem zieht "Pick Me Girls" genau daraus seine Stärke: Es zeigt anhand von Passmanns eigener Biografie, wie sich das Aufwachsen in einer patriarchal geprägten Gesellschaft auf das eigene Selbstbild auswirkt. Damit verschiebt die Autorin den Fokus ausgehend vom Persönlichen ins Allgemeine. Das gelingt ihr ohne mahnenden Zeigefinger und mit einer Präzision, die den Schmerz an der richtigen Stelle freisetzt. Nicht zuletzt, weil man sich als Leserin darin gespiegelt sieht, eigene internalisierte Verhaltensweisen erkennt. Auf über 200 Seiten geht die Autorin zurück zu den Wurzeln ihrer eigenen Kindheit und Jugend, macht diese zum exemplarischen Rahmen ihrer Handlung. Die nicht kleiner werdenden Selbstzweifel skizziert sie mit frappierender Ehrlichkeit, ebenso den daraus resultierenden Umgang mit ihrem eigenen Körper. Denn »Pick Me Girls« beschreibt den Drang nach Optimierung, der in Selbsthass und in einer Essstörung mündet. Schönheitsoperationen und psychische Erkrankungen, Misogynie und Scham sind hier nur einige der Stichworte. Letzteres beschreibt sie mit den Worten: »Scham fühlt sich immer an wie ein Einzelschicksal, denn sie behauptet, dass mit einem selbst etwas außergewöhnlich falsch ist. Wenn man wüsste, dass sich alle für die gleiche Sache schämen, würde sie keinen Sinn mehr ergeben. Deswegen zieht Scham immer zuerst Schweigen und dann Aushalten hinter sich her. Wer sich schämt, hält still.« Dieses Schweigen durchbricht die Autorin, indem sie am Ende aus dem Schatten ihres Einzelschicksals heraustritt.

Lisa Elsen